Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

stöszig, stoszig, adj.

stöszig (stoszig), adj.,
neben vereinzeltem stoszicht: mhd. stœʒec, stœʒic; vgl. noch als eine entsprechende niederd. bildung götting. grubenh. stöätsch Schambach 213ᵃ (so auch im benachbarten Hessen ein stätsches pferd [auch ein stätscher kerl], dagegen ein stösziger bulle, bock nach mittheil. v. Edw. Schröder), stötsk Doornkaat Koolman 3, 330ᵇ, ausschlieszlich in der bedeutung unter 1: 'n stötsken bulle; 'n stötsk perd ebenda. die nichtumgelautete form stoszig besonders in der bedeutung 2 (vgl. Schottel hauptsprache 193). vgl. auch unten stöttig, adj.
1)
petulans, petulcus; cornipeta:
a)
allgemein stösziges vieh Möser w. 1, 334;
doch keine rose ohne dorn,
das vieh wird stöszig, zeigt das horn
Gerok auf einsamen gängen 249.
im einzelnen ein stösziger ochs Corvinus fons latin. (1646) 624, s. auch unten stoszochse: ist aber der ochs vorhin stöszig gewesen, und seinem herrn ists angesagt, und er in nicht verwaret hat, ... 2. Mos. 21, 29 (so auch in der Zürcher bibel von 1531; vgl. Heyden Plinius [1565] 237); im herbst desselben jahres ist es gewesen, dasz der stier eines bauern stöszig wurde Storm 4, 276. kurzstirnige kühe sind gern stöszig O. Ludwig w. 2, 339 (Anzengruber w. 8, 42);
mein schwieger wollt mir helfen
mit einer stöszigen kuh
Erlach volkslieder 1, 267.
angriffsweise gegen den menschen: ob ein gehörneter ochs oder ein stösziger angreift ein man erste deutsche bibel 3, 290; von einem stöszig ochsen ... sohn und tochter tödtlich verwundet wurden Schupp schr. (1663) 355; der stöszige ochse erfasste den ... jüngling mit den hörnern Musäus volksmärchen 3, 30; der stöszigen kuh (zurufen), die (eine frau) niedergeworfen hatte G. Merkel die Letten (1797) 33. rathschläge der verhütung sehr häufig im sprichwort: stöszigen ochsen sol man heu an die hörner binden, dasz man sie wisse zu meiden Petri der Teutschen weisheit 2, T t 2, vgl. die Römer hatten im brauch, so sie einen stöszigen bösen ochsen auf die gasz gehen lieszen, dasz sie ihm ein bündlein heu an ein horn banden Moscherosch gesichte 2, 324; Hermes verheimlichung und eil (1802) 1, 276 (Klinger w. 11, 42); stöszigen ochsen musz man die hörner kürzen Winckler gedancken (1685) C 3; tolle hunde, stöszige ochsen, ansteckendes vieh schläget man todt und schaffet es fort Chr. Thomasius von der artzenei wider unvernünftige liebe (1696) 438; bissige tiere bekommen einen maulkorb, stöszige ein brett über die hörner Fr. L. Jahn w. 2, 590. ein stösziger hammel aries petulcus Corvinus fons latin. (1646) 77 (Frisius [1556] 64ᵇ); wenn ein stösziger bock irrsal stiftete, den er (der hirtenjunge) aber immer ... zu paaren trieb Stifter w. 1, 181 (Stelzhamer dicht. 4, 152 Rosegger); im vergleich: mittel und wege (aussinnen,) jene widerspänstige verschiedenheit von umständen wenigstens gleich stöszigen böcken in einen engen stall zu sperren, in welchem sie das widereinanderlaufen wohl unterlassen müssen Lessing 13, 25 M.; allein er widerstrebete heftig und balgte sich gleich einem stoszigten ziegenbocke, dasz er (im bette) auf die linke seite zu liegen kommen mögte Lindenborn Diogenes (1742) 1, 461. mit nebenordnung begrifflich ähnlicher adject.: die büffel sind nicht so wild unđ stöszig als die arakamischen büffel W. Schultz ostindische reise (1676) 204ᵃ; gegen fremde wurde der bock etwas wild und stöszig Chr. v. Schmid schr. 11, 34; (der rinder) glatthaariger, zähmbarer theil geduldig, doch auch störrisch und stöszig ist Fr. Th. Vischer ästhetik 2, 146.
b)
entsprechend oben stöszer 2 b; (hier im vergleich:) ich zähme meinen leib ... wie ein stösziges, bissiges und umbschlagendes pferd Dannhawer catechismusmilch (1657) 6, 214.
c)
übertragenbildlich, so von störrisch - widersetzlichem im menschlichen mikrokosmus u. s. w.: (der sohn gottes,) den die groszen ochsen und stöszige farren erstoszen Mathesius Sarepta (1571) 173ᵃ; wahrlich, manchmal will ich mit den stöszigen satyrsbocksfüszen gegen das ... weibliche geschlecht ausschlagen Jean Paul 1, 187 Hempel; vgl. ich könnte leicht so stöszig werden als der bock Lessing 1, 214 M. auch: trübe gedanken, ... stoszige manieren, taube sinne B. Goltz jugendleben 1, 228;
zwar er (Amor) scheinet jung von jahren, ist jedennoch
nicht ein kind,
denn er giebt die hörner gerne denen, die nicht stöszig sind
Grob dichter. versuchgabe (1678) 80.
(der einzige mensch in der welt,) gegen den seine lammesseele stöszig war Jean Paul holzschnitte 97 R. vgl. als bildlich lebendige einkleidung für unten 5: er musz diesmal fühlen, wie der bock ihn selber stöszt, so wird er sich ein ander mal in acht zu nehmen wissen ... bedenk einmal, was sollte daraus werden, wenn wir allzeit laufen müssten, um seinen stöszigen bock ihm anzubinden Storm w. 7, 301; der witz ... umzäunet stöszige bilder mit einem comma Jean Paul grönländ. prozesse 1, 38 R.; und als barocke vorstellung: die stöszigen mondhörner werden sich zu einer milden scheibe runden freiheitbüchlein 148 R. adv.: freilich das war mein fusz, seht euch vor! ich bin nicht stöszig gesinnt A. Ruge w. 7, 110.
2)
entsprechend stosz I 1 c (sp. 456): um halb 11 uhr hatten wir den stoszigen weg geendigt Karoline Herder (Göthes gespräche 1, 95 B.); auch: seine arme zuckten von der schweren stoszigen arbeit an der pumpe Frenssen Hilligenlei 152. vom wein (vgl. stoszen verb. II 9 c):
die unnütz rott und auch der wyn,
die söllind neiszwan stöszig syn
H. R. Manuel weinspiel 1860 neudr.
3)
entsprechend stosz I 4 d (sp. 460) in der zusammensetzung buchstöszig 'asthmatisch' (vom pferd, vom esel) Martin - Lienhart 2, 618ᵃ, vgl. mhd. bûchstœʒec mhd. wb. 2, 2, 669ᵃ. auf dem grunde von stoszen verb. II 11 c: harestosziger pubescens Diefenbach gloss. 470ᵇ.
4)
entsprechend stosz II 4 (sp. 474), vgl. elsäss. bannstöszig 'benachbart' von zwei gemarkungen Martin-Lienhart 2, 618ᵃ (urk. v. 1665): die herrschaft und inwohner des landes Culna, so an diese (provinz) stöszig X. Betuleius von dem neuen Hispanien (1550) 35ᵇ.
5)
entsprechend stosz I 6 (sp. 463) mit einem stöszig werden concipere inimicitias cum quo Aler (1727) 2, 1845ᵇ; die Concordia gibt zu und nach ... und wann man irgend stöszig worden, tracht sie nach der versöhnung Dannhawer catechismusmilch (1657) 2, 38; anno Christi 1424 ward marggrave Bernhard von Baden stöszig mit denen von Fryburg S. Münster cosmogr. 672; die kriegsleut ... so mit den burgern stöszig worden Xylander Polybius (1574) 5ᵃ (Plutarchus [1580] 278ᵇ; Ä. Tschudi chron. helvet. 1, 610);
lieber, wie stadt es umb den wyn,
mit dem ir hüt sind stöszig gsyn?
ir woltend in nit rüwig lan
H. R. Manuel weinspiel 3977 neudr.;
damit meine tochter nit über nacht ursach hett mit mir zuͦ zürnen, wann ir etwan ein wentzig mit einander stöszig würden Wickram 2, 143; (die beiden könige sind) gar stöszig mit einandern worden Ä. Tschudi chron. helvet. 1, 95; nach syme dode wurden die kurfürsten stoszig under einander Wigand Gerstenberg chron. 82; da die feinde also aus Brumat ires gefallens streiften bis uf unserer lieben frauen liechtmesz abend, begab es sich, dasz die feinde under einander selbs stöszig wurden B. Hertzog chron. alsat. (1592) 10, 131.
a)
der strittige gegenstand wird hervorgehoben; vereinzelt, aber besonders bildkräftig an: an der rechnung stöszig (werden) städtechron. 1, 117; gewöhnlicher um: der sach, darumb sy stöszig waren worden, in ain komen U. Richental chron. 110 lit. ver.; zu der selbigen zeit was ein küferknecht zu Mülnhausen, der ward stöszig mit einem meister umb 6 baselplappart S. Münster cosmogr. 507; als die conventherren zu st. Gallen gar stöszig warend um die wal eines abts Ä. Tschudi chron. helvet. 1, 59 (Lori bergrecht 5; z. j. 1308). darüber: würden sü dan darüber stöszig mit enander, so kun man sü entscheiden Straszburger weber (ende des 15. jahrh.) bei Schmoller 104. wegen einer sache: als die erwirdigen herren des ... conventz des jetzgenanten gotshuses mit mir stöszig sint gewesen und ich mit inen, von der gülte, presentzie, gesatzeter und ungesatzeter jarzit und ander manigvaltig nutze wegen urk. v. j. 1384 (geschichtsfreund 7, 189); ob ir keiner mit dem andern stöszig würde von der peut wegen städtechron. 1, 176; wo zwen teil mit einander stöszig sein von güter wegen, ob die lehen oder eigen seien, da verhört man brief und leute rotweilsche hofgerichtsordnung (1564) 6ᵃ; demnach ist er und Hephestion abermals stöszig worden von wegen der empter, so sie trugen Xylander Plutarch (1580) 232ᵇ. deshalb: wo auch die gewerken oder lehenhewer deshalb stöszig würden ... Lori baierisches bergrecht 220 (z. j. 1532); wie die Römer und Gallier des gewichts halber stöszig worden Stumpf Schweytzerchron. (1606) 153ᵃ. mit einfachem genit.: ich weisz gnugsam wol, wenn du nur etwas billichs und rechts sagen würst, so werden ir heut nit dreyer wort zwischen euch stöszig werden (tria non commutabitis verba) Boltz Terenz (1539) 51ᵇ; und so si um ainig artikel dieses spruchs stöszig sin wurdend J. v. Watt 2, 221. in: und so er und die stat in irkeiner sachen stoszig worden, so sal er darumb an unserin adir unsern nachkomen bischoffen irkentnisse genug haben lehnsurkunden Schlesiens 1, 108 (v. j. 1465); also kamend si (die kurfürsten) ... zu Frankfurt zusammen und wurdend stöszig in der wal Ä. Tschudi chron. helvet. 1, 154. wohl unter dem einflusz des lat.: Syrus und Crito, unser nachpuren syn stöszig von den marksteinen, haben mich gebeten ein schidman Terenz (1499) 79ᵇ ('Simus [!] et Crito vicini nostri hic ambigunt de finibus' Heaut. 149, 498f.). mit bloszem accus. (unter dem einflusz von schuldig bleiben th. 9 sp. 1905, unter 3 c): eine halbe krone blieben wir stöszig Gotthelf schr. 20, 180.
b)
mit nebenordnung entsprechender begriffe: wann wir etwan uneins und stöszig under einander würden, ... wer wolt uns ... vereinigen J. Frey gartengesellschaft 100 Bolte; der zeit erwarten, bis keiser Ludwigs söne Lotharius, Carolus und Ludwig in theilung des verlassenen keiserthumbs stöszig und uneins worden S. Feyerabend ungerische chron. (1581) 85ᵇ; und warend selbs under einanderen vast unhellig und stöszig, ein teil wer gern denen von Schlitz ... zugezogen, ein teil denen von Zürich Ä. Tschudi chron. helvet. 2, 310.
c)
praedic.: nu lit aber ein verborgne stosz hier inne, der mengen menschen stöszig machet Seuse deutsche schr. 95 B.
d)
substant.: ihre rechnung hatte nicht viel stösziges, und wo sich was zeigte, gab alsbald der wirth nach J. Gotthelf schr. 3, 345.
6)
entsprechend stosz I 8 b γ (sp. 472) und dem dafür gewöhnlicheren anstosz (th. 1, sp. 486) und so vereinzelt für das heute allein gebräuchliche anstöszig Campe: solches aber hindert mich nicht, woran ein abgeneigtes gehirn möchte stöszig werden, gibt mir diszfals keinen anstosz Schottel teutsche haubtsprache (1663) 11; auch stöszige worte parole cozzanti cioè ingiuriose Kramer dict. 2 (1702), 987ᶜ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1927), Bd. X,III (1957), Sp. 556, Z. 49.

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Zitationshilfe
„stoszig“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/stoszig>.

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