Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

zudenken, v.

zudenken, v.,
mnd. todenken Lübben-Walther 406ᵇ, in eigener bedeutung 'hinzudenken':
hürmydde endet sick dyt speel,
nicht ghedichtet, men geschen veel,
myt togedachten gheswenken
chron. d. städte (Braunschweig) 16, 254.
im hochd. erscheint das wort erst seit dem 16. jh. (s. 8): der son, dem er das königreich zudachte M. C. Schütz hist. rer. pruss. (1592) 3, r 4ᵇ. andere frühe belege A. Pape Jonas rhythmicus (1605) b 3ᵃ; Prätorius vom Katzenveite (1665) d 4ᵃ; Stieler 295; Kramer 1, 215ᵃ; 2, 1483ᶜ. von anfang an ist es mit sachlichem und persönlichem obj. verbunden und bedeutet, eine sache in gedanken einer person zuwenden. Adelungs beobachtung, dasz 'am üblichsten daran das part. prät.' sei, trifft zu, insofern als es überwiegend in den zusammengesetzten formen verwandt wird, weil in der regel erst nachher davon gesprochen wird. es ist durchweg ein wort des gewählten, oft des verbindlichen, höflichen ausdrucks (s. d. bel. aus briefen). geschichtlich hat es wahrscheinlich seinen ausgang von der verfügung über erbgut genommen, s. 3, hat sich aber so rasch und vielfach entfaltet, dasz die thatsächliche entwicklung nicht erkennbar ist.
1)
bei dem zudenken ist vor allem das subj. thätig, von dem das zugedachte ausgeht:
stadt, volk und land ist voller liebestriebe,
und hat, was ich ans licht gebracht,
dir längstens zugedacht
B. Neukirch ged. (1744) 243;
er nannte ihm endlich den preis, den man ihm dafür zudenke Ranke 2, 233; warum gewährt man dem beklagten ein mittel, das man ihm einmal zugedacht hat, nicht zur rechten zeit? Jhering geist d. röm. rechts ⁴ 3, 1, 50. daraus ergiebt sich der unterschied von bestimmen, bei dem der nachdruck mehr auf dem obj. liegt, vgl. Weygand syn. 3, 1170.
2)
das zugedachte ist nicht immer das erfüllte: es ist offt einem zugedacht oder vermeint, und dem andern beschert Petri d. Teutschen weisheit 2, b b viᵃ;
wir haben dir es anders zugedacht
Göthe 12, 120 W.;
und von zugedachten küssen
wird ein magres herz nicht fetter
Heine 2, 16 E.
so heiszt es geradezu 'wünschen': wenn auch dieser Claudius wäre 120 jahr alt geworden, hätte man ... ihm den todt nicht wündschen oder zudencken sollen Chr. Weise polit. redner 596;
... nach verlauf der jahre,
die du mir hast zugedacht
Gottsched ged. (1751) 1, 344.
3)
wahrscheinlich die älteste anwendung und noch heute neben zuwenden beliebt ist die bei verfügung auf todesfall: zuegedacht in testamentis pro fideicommissis habetur Stieler 296; er soll den genusz zeitlebens behalten, und hernach hat sie der herzog der universität Jena zugedacht Nicolai reise durch Deutschland 1, 59; dasz sie ihr nichts von der erbschaft sagten, die sie ihr zudenken Fr. L. Schröder dram. w. 2, 277. dazu den bel. oben aus M. C. Schütz.
4)
ähnlich verfügt ein vater oder sonst berufener über die hand seiner tochter zugunsten eines werbers: als wenn es sein .. ernst wäre Ismenen .. Catumern zuzudencken Lohenstein Arminius 2, 522ᵇ; gegen den willen seiner verwandten, die ihm vornehmere und reichere verbindungen zudenken Göthe 7, 210 W. auch freier: Elise hat ihnen gleich eine der beiden als frau zugedacht Droste-Hülshoff an L. Schücking 144;
ein unsichtbarer zwang
verräth beym ersten blick den unbewuszten hang
einander zugedachter seelen
Wieland I 1, 324 ac.
5)
in weiterer verwendung liegt im zudenken allgemein etwas in gedanken für einen als gabe bestimmen: man denkt einem etwas gutes, eine gabe, ein geschenk, eine belohnung, einen besitz zu; ich will ihr die aussteuer einhändigen, die ich ihr zugedacht habe Tieck 3, 187; die eventuelle vergröszerung in Polen, die man ihr (der krone Preuszen) zudachte, kam einer abfindung gleich Ranke 31/32, 97. das zugedachte ist auch allgemein etwas angenehmes, eine handlung oder ein vorgang: er (der Angerbauer) wartete mit der anrede die er Ludwig zudachte M. Meyr erz. aus dem Ries 1, 31; man denkt einem einen besuch, einen empfang, einen urlaub zu, noch allgemeiner etwas gefühltes, eine ehre, eine auszeichnung, ein vergnügen, eine freude, ein glück.
6)
als eine auszeichnung wird einem ein amt, eine stellung, eine rolle zugedacht: der h. reichscantzler hatte solches (d. directorium in den oberkreisen) rheingraff Otten ... zugedacht Chemnitz schwed. krieg 2, 632; die gnädige herrschaft hat ihm .. die ledige einnehmerstelle zugedacht Eichendorf 3, 15. dabei tritt meistens die mit dem amt verbundene aufgabe oder mühe so in den vordergrund, dasz der begriff der gabe zurücktritt: und mir ward die gnade zugedacht, dasselbe (ein stammbuch für die erbgroszherzogin) durch vorstehendes sonett einzuweihen Göthe 4, 75 W.; dieser vizekönig, welchem Bedemar eine der ersten rollen in seinem trauerspiele zudachte, war der herzog von Ossuna Schiller 4, 128 G.; unserer brigade .. war dabei der löwenanteil zugedacht Fontane I 1, 520. so wird einem ein dienst, eine arbeit, eine bemühung zugedacht.
7)
ähnlich verblaszt der begriff des gebens, wenn etwas durch höhere fügung dem menschen als schicksal zugedacht wird, dem 18. jh. besonders geläufig:
endlich, wenn nun ganz vollbracht,
was gott hier in dieser welt
frommen kindern zugedacht
P. Gerhardt bei Fischer-Tümpel 3, 435ᵇ;
denken die himmlischen
einem der erdgebornen
viele verwirrungen zu
Göthe 10, 59 W.
gelegentlich danach refl.:
o könnte dich ein schatten rühren
der wollust, die die herzen spüren,
die sich der meszkunst zugedacht!
A. G. Kästner verm. schr. (1755) 1, 198.
8)
ähnlich auch sonst von dem, was der eine dem anderen zudenkt: einem widderferet eben das man einem andern zugedacht hat Agricola t. sprichw. (1534) b 3ᵇ, und es schlägt ins gegentheil um, indem es gerne von strafen u. ä. gebraucht wird: dasz die preschen, welche ich bekommen, einen andern waren zugedacht gewesen Chr. Reuter Schelmuffsky 91 ndr.; die von ihm durch predigten oder anderwärtig mir zugedachte beschimpffung Chr. Thomasius ernsthaffte ged. u. erinn. 3, 123; (Natalie) war zufrieden, der kleinen überraschung und beschämung, die man ihnen zugedacht hatte, ... zu begegnen Göthe 23, 188 W.: diese frau v. P*** hat mir verdrusz und leiden zugedacht Schiller 3, 572 G.
9)
allgemeiner hiesz zudenken früher gelegentlich 'etwas in gedanken mit einem in zusammenhang bringen', dabei berührt es sich mit zutrauen: ich hätte ihm disz nicht zugedacht Stieler 296; er wäre der brunn alles guten, und daher die ärgste gotteslästerung, ihm einiges laster zuzudencken Lohenstein Arminius 2, 274ᵃ; doch messe ich mir allein die schuld bei, aber nicht diese, die sie mir vielleicht zudenken Pückler briefw. und tageb. 1, 130; eine halbvoglichte sirene, die er dem Homer zudenkt J. H. Voss antisymb. 1, 253.
10)
das part. zugedacht ohne angabe der zudenkenden person heiszt einfach 'bestimmt für': als anhang war dem fünften teile zugedacht ein ... schriftchen Herder 12, 379 S.; iedoch bedung sich Abaxar zuvor dieses aus, dasz sein sieg die prinzessin gäntzlich befreyen, und die ihr zugedachte glut des erlegten feindes cörper verzehren solte Ziegler asiat. Banise (1689) 635; das ... ihnen längst zugedachte büchlein Göthe IV 22, 195 W.; das mir zugedachte laboratorium ... nehme ich .. mit vorläufigem dancke an Lichtenberg br. 2, 234. ebenso das subst. das zugedachte: das mir zugedachte Görres br. 1, 22; nachdem er das ihm zugedachte empfangen Chamisso 1, 152.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1924), Bd. XVI (1954), Sp. 321, Z. 20.

Im ¹DWB stöbern

a b c d e f g h i
j k l m n o p q r
s t u v w x y z -
zuckeraderbirne zuklemmen
Zitationshilfe
„zudenken“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zudenken>.

Weitere Informationen …


Weitere Informationen zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)