Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

zugleich, adv.

zugleich, adv.,
ist erst zu Luthers zeit in gebrauch gekommen: haltet an am gebet, und wachet in demselbigen mit danksagung, und betet zugleich auch für uns Col. 4, 3; auff das, wir wachen oder schlaffen, zugleich mit im leben sollen 1. Thess. 5, 10. wenn Luther es aus seiner mundart entnommen hat, die sich darin dem mnd. to like Sch.-L. 2, 693ᵇ angeschlossen haben mag, so gilt das nicht für das ganze sprachgebiet. denn fast gleichzeitig erscheint es bei Dürer, s. bei 1, und in Straszburg: wie konnen wir dann zuoglich das unser mit solicher ufruor suochen? polit. corresp. d. stadt Straszburg 1, 115 (1525). es ist sicherlich weit älter als die schriftliche bezeugung. äuszerlich scheint es gebildet wie zwar, ahd. zi wâre Graff 1, 919, doch ist es als kurzform einer verbindung mit einem subst., wie wîs, mâze oder ähnl., aufzufassen. das entsprechende ze glîcher wîs ist freilich nur in einzelnen quellen belegt Straszburger bîhtebuoch 37 Oberlin; Steinhöwel de clar. mulier. 74; 93 u. ö., zugleicherweisz Paracelsus op. (1616) 1, 317. als vorbilder für die zusammenziehung konnten ze mâze, ze rehte dienen, weniger ze erste, wie Paul wb. ¹573 vorschlägt, wegen der bedeutung. wie mhd. gelîche, algelîche, an dessen stelle zugleich getreten ist, bezieht es sich zunächst auf die art und weise. so geben es die älteren wbb. für mutuo Frisius 852ᵇ; Maaler 513ᵇ, pariter Frisius 948, Maaler 513ᵇ; ad instar Calepinus undec. ling. 32ᵇ; 1026ᵃ; peraequo 1050ᵇ. die heute als hauptbedeutung empfundene gleichzeitigkeit, die zwar auch früh belegt ist, erscheint in wbb. viel später: insieme, d'una volte Hulsius (1618) 1, 138ᵇ, una, simul Stieler 667, ad un tempo Kramer 2, 1478ᵃ. die form zugleiche H. v. Cronberg 69 ndr., bei dichtern des 17. jh. verseshalber P. Fleming 1, 122; 233 Lappenberg; Logau 213 Eitner.
1)
ursprünglich bezeichnete es 'in gleicher weise': kegel ... die mag man schlecht oder gewunden machen, ... zuͦgleych wie for mit den seuͤlen A. Dürer unterweis. der messung (1525) g 1ᵇ; zugleich wie einer ein linien mit der hand zeucht Paracelsus op. (1616) 2, 317; er hat die Gotthier und Italier zugleich lieb Stumpf Schwytzerchr. (1606) 199ᵃ; wann eheleut nicht zugleich ziehen, so bleibt der hauszwagen im koth stecken Lehmann floril. 1, 405. in engem anschlusz an ein verb: leg die messleiter widerumb mit hilff des compassen, wie sie vor gelegen ist, namlich daz diser ander cathecus dem vordrigen catheco zuͦgleich stand S. Münster cosm. 30; dann diese schrifft Pauli, Petri und Joannis treffen zugleich mit dem evangelio reformationsflugschr. 1, 30 Clemen. wie eine präp. gebraucht: ferner soll auff der seitten, da der bruch ist, ein bändlin angenehet werden ... zugleich demselbigen, das uber die achsel gehet O. Gäbelkover arzneib. (1595) 1, 369. diese verwendung ist nicht mehr üblich.
2)
die zeitliche vorstellung hat sich an zugleich von anfang an angeschlossen, wie sie überhaupt in den adverbialen verbindungen mit zu die vorherrschaft hatte, s. o. sp. 211ff. alle heutigen verwendungen lassen sich davon ableiten, doch enthält das wort meistens ein unzeitliches, logisches element daneben, oder als vorherrschend.
a)
in der bedeutung zu einer u. derselben zeit: denn ichs in keinen weg leucken wil, das gottes gewalt nicht solte so viel vermügen, das ein leib zugleich an vielen orten sein müge auch leiblicher, begreifflicher weise Luther 26, 336 W.; die strahlen ... von dem gestirn und den planeten nicht an allen orten zugleich ... eintreffen L. Thurneysser m. alch. (1583) 12; wenn zwey auff zwey unterschiedenen und .. ziemlich weit von einander entlegenen thürmen stehende uhrwercke zugleich schlügen J. G. Schmidt rockenphilosophie (1706) 2, 67; oder eine person will eine andre ... und die zuschauer zugleich etwas wissen lassen O. Ludwig 5, 355;
dasz du zugleich mit dem heiligen Christ
an diesem tage geboren bist
Göthe 4, 249 W.;
wechselnd bald, und bald zugleich
eint es und entzieht mich euch
Müllner dram. w. 2, 95.
bei philosophen: ein jeder wird bey sich selbst befinden, dasz, sobald er annimmt, es sollen verschiedene dinge zugleich seyn, er sich eines auszer dem andern vorstellet Chr. Wolff vernünftige ged. von gott 19; vgl. unten 7.
b)
besonders von dem zugleichsein des entgegengesetzten oder sich widersprechenden: sihe, es kompt die zeit, spricht der herr, das man zugleich ackern und erndten, und zugleich keltern und seen wird Amos 9, 13; fing an zu agirn und zugleich darunder zu geigen Grimmelshausen 2, 50 Keller;
ohn leben ich noch lebe,
bin todt ohn todt zugleich
Spee trutz-nachtigall (1649) 61;
ich wünschte ... zugleich meine hände verdeckt im spiel zu haben und als zuschauer die freude der illusion zu genieszen Göthe 21, 19 W. daher die häufigen wendungen von dem, was man nicht zugleich kann: derhalben ist unmuglich, das tzugleich das evangelion und geystlich recht regiren konnen Luther 8, 541 W.; eten unde spreken to gelyk is quât to doen Tunnicius nr. 1303 Hoffmann; man kan nit zweien herren zugleich dienen Tappius adag. (1545) 133ᵇ; denn ich kann nicht zugleich lachen und weinen Gryphius Peter Squenz 11 ndr.; es kan niemand zugleich blasen und schlucken Pistorius thes. paröm. 240; dasz ebendieselben augen nicht zugleich grau und schwarz sein können Lessing 2, 46 M.; man kann die waare und das geld nicht zugleich haben Göthe 22, 334; man kann nicht zugleich auf zwei hochzeiten tanzen. anderes Lehmann 2, 813; 845; Petri 1, c iiiᵃ; 2, k iᵇ.
3)
die zeitvorstellung tritt zurück, und zugleich, oft zugleich mit (adv.), drückt die einheitlichkeit eines vorganges aus: zugleich in einer müh, eadem opera Dentzler 2, 367ᵃ; ja wenn das hertze also gepresset wird, so werden auch die lungen zugleich mit gedrückt Prätorius anthropod. pluton. 1, 26; es ist ein sehr glücklicher kunstgriff, dasz der adler, indem er die flügel hebt, das gewand zugleich mit in die höhe bringt Göthe 47, 229 W.; verkürzungen, die zugleich sinn und wirkung aufheben! 22, 165 W.; ich glaube, dasz niemand etwas für uns thut, der nicht zugleich sein interesse dabei findet Bismarck ged. u. erinn. 1, 207 volksausg. meist wird so entgegengesetztes in der einheit verbunden: auff dasz ich sie (die welt) nicht allein ergetzet, sonder zugleich auch mit dem ergetzen, dest süsser das gute möcht einschwetzen Fischart Eulensp. 16 Hauffen;
wer vor dem stamm sich neigt,
der grüszt zugleich die äste
Stoppe Parnasz 51;
wir wollen sie (die vorurtheile) nicht ausjäten, um nicht vielleicht edle pflanzen zugleich mit auszuraufen Göthe 22, 7 W. s. auch th. 1, vorr. XIII oben.
4)
es tritt das 'zusammen' in den vordergrund.
a)
zugleich betont die zusammenfassung: und alles volck antwortet zugleich, und sprachen 2. Mos. 19, 8; wie kunden die wellen des meeres schaden, weil der schöpffer des meeres bey ihnen zugleich im schiffe war? J. Agricola sprichw. c viiiᵇ; des ewigen geist- und naturfeuers urstand geschicht durch eine ewige conjunction oder zusammenfügung, keines sonderlich, sondern beides zugleich J. Böhme 2, 17; ob sie sich gleich ungerne von beiden (kindern) zugleich trennte Göthe 23, 107 W.; dreiszig, vierzig wagen zogen zugleich aus in den schönen mondnächten Droste-Hülshoff 2, 263. oft ist es völlig gleich zusammen: wolff und lamb sollen weiden zugleich Jes. 65, 25;
die waldt und berg zuegleich auff einen orth getragen
Opitz t. poeterei 21 ndr.;
alle zugleich:
auff das wir uns alle zugleich
auch machen einen groszen namen
H. Sachs 6, 196 K.;
so fuhr sie sich mit allen fünf fingern zugleich in die haare Ph. Hafner ges. schr. 1, 7. zugleich mit (präp.): drumb sende yhn gott eben den geyst, den Christus hatt, der auch kind ist, das sie zugleich mit yhm ruffen: Abba, lieber vatter Luther 10, 1, 1, 370 W.;
warum untergräbst
du denn allein, was du mit ihm zugleich
gebauet?
Lessing 3, 76 M.;
er hatte ... seinen arbeitslohn mit der arbeit zugleich verlieren ... müssen G. Keller 5, 11.
b)
es betont das gegensätzliche in der zusammenfassung, ebenso wie heute zu gleicher zeit, frz. en même temps: du solt nicht anziehen ein kleid von wollen und linnen zugleich gemenget 5. Mos. 22, 10; so werden freylich zuͦgleich sündigen ..., der so die warhait verbürgt, wie auch der so die lugen treibt J. Nas antipap. eins u. hundert 1, vorr. a ii b; so soll man erdrich auszerlesen, welchs kiselsteinen seie ... und sonderlich die ... kiselig und sandig zugleich seien Sebiz feldbau 14;
frew dich, du schöner Rein, und du gelehrte statt,
die hungersnoth und krieg zugleich getragen hat
Opitz t. poemata 24 ndr.;
ein weib ..., das mit dem verlangen nicht zugleich liebe und ehrfurcht einflöszt Göthe 21, 45 W.; wie heiszt die schöne, die ... in ihren sittsamen schelmenaugen gift und gegengift zugleich führt? 23, 303 W.; der tod ist endigung und anfang zugleich Novalis Athenäum 1, 73; wir haben mit den rechten des königs Christian .. zugleich die landesherrlichen pflichten in bezug auf Schleswig übernommen Bismarck pol. reden 3, 14; Dörr hielt das gewöhnlichste zugleich für das vorteilhafteste Fontane I 5, 123.
c)
insbesondere von dem gegensätzlichen, das durch eine oder in einer person zu tage tritt, s. auch die beiden belege aus Göthe bei b: und meyneten, gott hette Adam also gemacht, das seyne eynige person zugleych eyn mans und weybs bilde were Luther 18, 147 W.; die köchin, welche zugleich auch die stell einer kellerin und beschlieszerin vertretten muste Grimmelshausen 2, 345 Keller; er scheint einer von den talentvollen menschen, der als offizier, employé oder spion, wohl auch alles zugleich, durch den kriegesbesen hin- und wieder gepeitscht worden Göthe IV 29, 80 W.;
nun sitz' ich hier zugleich erhoben und gedrückt
2, 145 W.;
sie ist so sitt- und tugendreich,
und etwas schnippisch doch zugleich
14, 128 W. (Faust 2612);
Michae l Kohlhaas ..., einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten menschen seiner zeit H. v. Kleist 3, 141 E. Schm.
5)
mit schwindender eigenbedeutung übernimmt zugleich syntaktische funktionen.
a)
es verknüpft einzelne satzglieder, meistens sie zugleich gegenüberstellend, wie sowohl ... als auch, mhd. beide ... und: und (da) dann den äuszern sinn zugleich die lieblichkeit der formen, die grösze und einfachheit der gestalten ... in durchgängige klarheit versetzt Göthe 46, 38 W.;
und ehrst bescheiden dich und uns zugleich
10, 122 W.;
zu meiner groszen verwunderung, zu meiner freude zugleich 33, 292 W. in verbindung mit anderen conjunctionen u. partikeln: sie legte .. die kaffeserviette, stellte zwei leuchter, zugleich auch die zuckerdose ... in die mitte des tisches Fontane rom. u. nov. (1890) 7, 10. zugleich sprachlich wie geographisch Mommsen röm. gesch. 1⁴, 12; ich hoffe auf diesem wege zugleich dem ... fortschritte der .. wissenschaften, als auch den besitzern dieses werks einen ... dienst leisten zu können Ritter erdk. 1, xiii; forderte die armee nicht allein dessen bestrafung, sondern zugleich die baldige auflösung des parlamentes Ranke 4, 5.
b)
es knüpft sätze an, sich mit auch, auszerdem berührend.
α)
in den satz eingefügt: an welchem end wir zugleich damit handelen wöllen, vom ampt, gebür oder zustand eines meyers Sebiz feldbau 2; da hatten eltern den kreis ihrer ideen nicht für sich gesammlet; er war zugleich da, um mitgetheilt zu werden Herder 5, 116 S.; merkwürdig ist es zugleich, dasz durch diese behandlungsweise gerade die eigenthümlichkeiten .. ins widerwärtige gezogen sind Göthe IV 41, 15 W.; dieser gedanke hat nicht blos die arbeit frei und reich gemacht, er hat zugleich die mittelaltrigen stände als sociale rechtskreise gebrochen W. H. Riehl die deutsche arbeit 26. mit aber, doch, auch: ich glaube aber zugleich, dasz dieses talent nicht sein grösztes noch vorragendes sey Gerstenberg schlesw. literat.-br. 125 lit.-dkm.; doch sage ich ihnen zugleich, dasz mir jeder augenblick zu lang werden wird Geller 4, 195; auch musz ich zugleich erinnern, dasz ich zwey oder drey lateinische ... wörter mit eingeschoben Rachel sat. ged. 12 ndr.
β)
besonders kenntlich an der spitze des satzes: das höchste nicht blendende helle wirkt neben dem völlig dunkeln. zugleich werden wir alle mittelstufen des helldunkeln und alle farbenbestimmungen gewahr Göthe II 1, 5; zugleich aber lenkte man die poesie auf geistliche stoffe Scherer literaturgesch. 44. formelhaft in Göthes briefstil: zugleich les ich den Livius IV 8, 143 W.; zugleich vermelde, dasz 41, 121, ähnl. 27, 6; 28, 5; 31, 45 W.
γ)
in nebensätzen wie gleich: und solte auch zugleich die gantze welt vergehen volksb. v. gehörnten Siegfried 75 ndr.; es könte keiner ein poet seyn, er wäre dann zugleich ein narr Moscherosch ges. 1, 470. oder anknüpfend: weil zugleich A. U. v. Braunschweig Octavia 1, 3; wenn er nur ... nicht zugleich Gellert 3, 68.
6)
zugleich als subst. immer im sinne der gleichzeitigkeit: ja, sagte der zweite, nichts ist so bemerkenswert als das grosze zugleich in der natur. überall scheint die natur ganz gegenwärtig Novalis 4, 33 Minor; wie das sein so auch das wissen, das sein ausdruck ist, musz ein zugleich des allgemeinen und besonderen, des denkens und vorstellens sein Schleiermacher III 5, 32.
7)
zugleich in zusammensetzungen mit infinitiven, besonders in der philosophie: das geräusch des zugleichsprechens der ganzen schule Herbart 11, 47 Hartenstein; das .. zugleichwissen der theile des bildes allg. d. bibl. 116, 436; das unendliche zugleichwirken der in der absoluten idee enthaltenen bestimmten ideen Fr. Th. Vischer ästhetik 1, 117; vor allem das zugleichsein Kant 3, 25 ac.; Novalis 3, 181 Minor; Fichte 5, 434; Schopenhauer 1, 41; das zugleichdaseyn des blos vorgestellten Fr. H. Jacobi 2, 228; dieses zugleichgesetztsein Schleiermacher I 3, 24. ähnlich: meine gesammt- oder zugleichliebe Jean Paul 7/10, 154 H.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1924), Bd. XVI (1954), Sp. 430, Z. 63.

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Zitationshilfe
„zugleich“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zugleich>.

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