Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

urwelt, f.

urwelt, f.,

eingebettete Stichwörter in diesem Artikel

welt mit ur- C 4 c. von Campe als neubildung verzeichnet, doch schon von Kramer (1702) 2, 1315ᵇ als syn. mit vorwelt angeführt, freilich erst gegen ende des 18. jhs. üblich geworden. der bei Krünitz 202, 495 gemachte versuch, u. und vorwelt so zu unterscheiden, dasz u. die periode vor der groszen flut, vorwelt die zeit nach der flut bezeichnen sollte, ist ohne erfolg geblieben. immerhin geht die bezeichnung u. vom ursprünglichen zustande, vorwelt von dem gs. zur späteren welt aus. vorwelt und u. werden von Brentano 5, 428 verbunden: alles vorurtheil musz weg, das heiszt alles, was die vor- und urwelt getheilt oder verbunden hat; im scherz: im wunderbaren, kunstreichen, im neben-, durch-, und hintereinandrigen stil der urwelt, mitwelt und nachwelt erbauten hühnerstalle 5, 21.
1)
uranfängliche welt, urzeit, graues alterthum, begrifflich unbestimmt: sprache der u. allg. d. bibl. 58, 334; sehr oft bei Herder: der u. sagen 25, 460 S.; die hebräischen sagen über die u. 16, 52 S.;
wie echo tönt ...
der urwelt laut
29, 551 S.;
mit welchem schmuck tritt hier die älteste priesterwürde aus dem lichtdunkel der u.? 7, 180 S.;
was der urwelt höhen schönes tragen ...,
das alles komm auf Josephs haupt
12, 146 S.;
warum man ... in der u. steine verehrt? 6, 416 S.; den zustand der u., die uns das erste buch Mosis schildert Göthe 28, 103 W.; die geheimnisse jener u. 7, 217 W.; in der u. schoos 17, 103 W.; kindersinn der u. J. G. Forster ausgew. kl. schr. 157; die mütter ... werden stärkre kinder zur welt bringen, die die thätigkeit, energie und anmut der u. erhalten werden Hufeland kunst das m. leben zu verlängern 37; die dunkle periode der u. Schelling I 1, 56; das ich sucht ein ur-ich, sucht etwa blos eine ur-welt neben der jetzigen Jean Paul 55/58, 43 H.; in den fluren und hallen der u. lebt der dichter Novalis 4, 234 M.; denkmale der u. 4, 139 M.;
nimm diese zweige, decke mit ihnen mich,
nach osten singe dann das erhabne lied,
bis auf die sonne geht und zündet
und mir die tore der urwelt öffnet
1, 262 M.;
Tiedge 3, 3; Fouqué alts. bildersaal 1, 223; Waiblinger ged. aus Italien 86 Gr.; ein sehnen nach den tagen der u. Hölderlin 2, 161 L.; der u. goldnes alter Gries rasender Roland 1, 65; Brentano 6, 10; Fr. Schlegel 1, 32; das der fabelreichen u. angehörende mährchen Matthisson 6, 223; H. Heine 6, 442 E.; aus der zurückgestellten finsternisz der u. ragen die schicksalsgötter ... in die gegenwart herein Vischer ästhetik 2, 453; ging nicht eine deutsche u. uns auf? Alexis ruhe ist die erste bürgerpflicht 1, 173; Gervinus gesch. d. d. dicht. 4, 12; die frage ..., welche die dunkeln thore der u. aufzuthun strebt Ratzel völkerk. 2, 301; in der u. einsamkeit Arent-Conradi-Henckell moderne dichtercharaktere 126; menschen der u. D. Fr. Strausz 5, 268; R. Wagner 10, 187; auffassung der homerischen welt als der u. Nietzsche 1, 132. im bilde (vgl. 2): gehen wir aus ... von dem hochlande, das von auszen wie eine ruine der u. ... emporragt Ritter erdk. 1, 13. im witz, wie er besonders im adj. urweltlich ausgebildet ist: man wuszte niemand, der jene haarformationen der u. noch zu bereiten verstand Immermann 1, 27 H. der zeitbegriff tritt vor: sagte H. Sachs auswahl 1, 5 Göd.:
von werlt zu werlt ewig,
so Herder 12, 78 S.: von u. bis zu u. bist du gott! gleich unterwelt, dem schosz der berge (vgl. 2) Thümmel 8, 175.
2)
im engern sinne der geologie. angeregt durch A. G. Werners neptunismus:
(Neptun) dem die urwelt ein wildes
rosz empor stiesz, als du sie mit mächtigem dreizack durchbohrtest
Stilling georgica (1787) 1, 12.
den geologischen theorien folgend: bis in die nacht Ballenstedts archiv der u. Göthe III 8, 138 W.; thiere der u. IV 19, 120 W.; pflanzenreste der u. IV 34, 212 W.; IV 36, 135 W.; ein document über die bildung der u. Göthe bei Eckermann 187 Geiger;
ich hebe den vorhang
auf vor der urwelt bild und enthülle der Alpen entstehung
Baggesen 1, 45;
bei dem anblick der wilderen naturgegenden und wie ruinen der u. übereinandergestürzten felsen und gebirge Fr. Schlegel 1, 81; die kalkgebirgslager, so die erdkatastrophe dem alten meeresboden der u. aufschwemmte Matthisson 5, 169; unabhängig von diesen mit permanenten kratern versehenen vulcanen, gibt es eine andre art vulcanischer erscheinungen, die ... vorzugsweise belehrend für die geognosie an die u., das heiszt an die frühesten revolutionen unsers erdkörpers erinnern A. v. Humboldt ansichten der natur 2, 168; kosmos 1, 209; als sich der u. nebel noch nicht consolidirt, musz es (chlornatrium) ... darin ... gasförmig vorhanden gewesen sein Muspratt chemie (1898) 6, 436.
3)
zusammensetzungen gehen theils von bed. 1, theils von bed. 2 aus. nicht mit u., sondern mit weltbau und ur- zusammengesetzt ist blick in den ur-weltbau (bei den ersten forschungsreisen im Himalaya) Ritter erdk. 3, 961 und wohl auch bei Göthe II 3, VII 4 eine urweltepoche (die strebende jugend beginnen möchte).
a)
substantiva:
urweltbach
F. Langheinrich an das leben 91,
urweltfirne
A. F. v. Schack ges. w. 3, 222,
urweltgedanke
J. G. Kohl Alpenreisen 2, 313,
urweltgeheimnis
A. Grün 4, 28,
urweltklippe
E. Leibl zelt unterm stern 70,
urweltkraft
Vischer lyr. gänge 274,
urweltliebe
F. v. Sonnenberg Donatoa 1, 216,
urweltnebel
Schopenhauer 3, 58 Gr.,
urweltnebelstreif
5, 314 Gr.,
urweltquader
Fulda neue ged. 104,
urweltschauer
M. Hartmann 2, 10,
urweltschicht
Alex. Jung 1, 56,
urweltseher
Schack ges. w. 2, 12,
urweltstaub
A. Grün 1, 222,
urweltthier
Varnhagen v. Ense tageb. 4, 6,
urwelttochter
Schack 2, 13,
urweltzeit
A. Grün 2, 84; Auerbach 17, 26; Gutzkow (1872 ff.) 7, 476,
urweltzustand
Alex. Jung 2, 265.
mit s in der fuge:
urweltsdreck
H. Heine 1, 254 E.,
urweltsgöttersohn
Mörike 1, 181,
urweltsgrau
H. Salus blumenschale 73,
urweltsklang
Rückert 7, 94,
urweltskluft
Immermann 15, 96 B.,
urweltsknochen
Gutzkow (1872 ff.) 8, 453,
urweltsmelodie
D. Fr. Strausz 12, 111,
urweltsnatur
Hebbel I 10, 208 W.,
urweltsorkan
C. Hauptmann krieg 94,
urweltsrecke
Hebbel tageb. 4, 312 W.,
urweltsschlammwurm
Vischer auch einer 1, 234,
urweltsschlange
Gutzkow 10, 74,
urweltssturm
Hansgirg heimatstimmen 31,
urweltstraum
Hamerling 2, 69,
urweltsunschuld
M. Janitschek ins leben verirrt 121.
b)
adj.:
urwelteinsam
Rosegger Alpensommer 45,
urweltkräftig
Vischer auch einer 2, 268,
urweltmäszig
C. Fr. v. Ramsler deutsche denkwürdigkeiten 2, 179,
urweltweise
R. Wagner 6, 152.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 17 (1936), Bd. XI,III (1936), Sp. 2606, Z. 52.

Im ¹DWB stöbern

a b c d e f g h i
j k l m n o p q r
s t u v w x y z -
urureltern übergangsglied
Zitationshilfe
„urweltkraft“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/urweltkraft>.

Weitere Informationen …


Weitere Informationen zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)