Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

verrecken, verb.

verrecken, verb.
die glieder ausrecken, mhd. verrecken. die älteste nachweisbare bedeutung (trans.) ist 'durch bewegende thätigkeit zu ende bringen': so sol er auch verrecken das, das er zu thuen sich vermas; ein fürbringen verrecken und volbringen. Schm. 2, 44 Fromm.; diese wenigen beispiele stehen aber vereinzelt da, vielleicht gehören noch einige dazu die Schiller-Lübben 5, 423ᵃ aufführen unter vorreken, in späterer zeit scheint diese bedeutung ganz erstorben.
1)
allgemein verbreitet ist aber die andere intransitive bedeutung 'sterben'. schon mhd.:
einer wart im spil erstochen,
einer erhenget, dirr gesecket
daʒ eht alle eins verrecket.
liedersaal 3, 434, 58.
dieses verrecken scheint aus anderer bedeutung als das oben besprochene zu entstammen. es ist wol nur das intransitive 'im tode strecken' (alle viere von sich strecken). Schröer bringt auch aus dem ungarischen berglande 195ᵇ die bedeutung verrecken, im tode die füsze ausstrecken. im ältern nhd. ist verrecken noch ein durchaus edles wort, und die dichter (Opitz) des 17. jahrh. führen es sogar in die dichtersprache ein, jedoch kommt gerade seit jener zeit das wort immer häufiger für sterbendes vieh vor und setzt sich dafür ganz entschieden fest. am schlusse des 17. jahrh. sagt Stieler: verrecken, dicitur proprie de interitu bestiarum et pecudum; die kuhe ist verrecket, vacca concidit mortua, periit, interiit. 1507; ein nur in den niederen sprecharten übliches wort für sterben, besonders beim vieh. Adelung vers. 4, 1495.
a)
von menschen: ha, narr! antwortete er, es ist ein jud, den hab ich hier gebunden; der schelm ist aber vorlängsten erfroren und verreckt. Simpl. 1, 442, 28 Kurz; der kerl ist nicht wehrt, dasz wenn er auch verreckte, jemand ein auge darüber nasz machte. pers. baumgarten 2, 3; es überfiel mich der schlaff eine nacht in der wüsten ... inzwischen kam ein cameeltreiber mit hellem geruff und sagte: auff! bistu willens dahinden zu bleiben und so zu verrecken, dasz du auff mein geschrey ... nicht erwachet bist? 9, 5; man sperrt den könig Jugurtha fingernackt als ein unvernünftiges vieh in einen finstern kercker ein und lässet ihn darinnen für hunger verrecken. Lohenstein Armin 2, 1110; wenn euch einer gar mit einem beile vor den kopf schlüge, dasz ihr verrecktet. Causenmacher 99; haben wir uns darum unter feuer und rauch gebettet, dasz wir zuletzt wie ratten verrecken? Schiller hist.-krit. ausg. 2, 157 (räub. 4, 5); drum hat er viel luder gefressen als unsere schönen pferde verreckten. Hebel 3, 72;
es ist zu spat erst büszen wollen,
im fall wir schon verrecken sollen.
Opitz 3, 186.
mit personification eines begriffes:
die götter sind gezogen
auff ihre wolken zu, gerechtigkeit verflogen,
die graue treu verreckt, die eintracht in der flucht.
Opitz 1, 50;
nun wir ein leben führen,
das der Cyclopenart an sitten ähnlich sieht,
nun meineid und gewalt auff allen wiesen blüht,
und fast die deutsche treu verreckt ist und verflogen,
so ..
2, 23;
wenn unser leib vergraben
im sande liegen wird, und uns die graue zeit
den ruhm verleyhen soll der Teutschen redligkeit
so jetzt verrecken will.
2, 182;
die frömmigkeit verreckt, die zucht gibt gutte nacht.
Tscherning 144 (1642);
deutsche redligkeit
so heute fast verreckt ist und verflogen.
125.
b)
von thieren: derowegen vertragten wir uns und theilten das geld gar gütiglich mit einander, wie er mir dann auch die versprochenen 12 thaler gab und offenhertzig gestunde, dasz ihm schon mehr als über 300 gulden pferde im stall verreckt. Simpl. 2, 292, 28 Kurz; es würde einer sein hundertthalerpferd, wenn es ihm gleich von tausend hexen geritten worden wär, ehe hunderttausendmal verrecken lassen .. als dasz er nur einen segensprecher .. umb hülf anspreche. 4, 17, 11 Kurz; es were kein wunder, wann ich dich gleich da ligen und hinder den hecken wie einen hund verrecken liesze. 330, 13 Kurz; als ein esel eines bauers verreckt war. pers. baumg. 5, 5; der esel ist elendig und schmerzlich verrecket. ebenda; dasz sie (die überfütterte heidelerche) verreckte. J. Paul leben Fibels 22; hinter der stufe lag eine vielleicht von abgebröckeltem arsenik verreckte maus. 7, 141; es lebe der herr untervogt und alle calfacter mögen verrecken. Pestalozzi Lienhart u. Gertr. 1, 43; verjährt die wunde des angeschossenen hirsches? auch wenn er nicht ins dickicht kriecht und verreckt .. er bleibt ein kümmerer. Spielhagen plattl. 1, 179;
es heiszt, was wie ein fuchs die klauen kann verstecken,
doch bald den leuen zeigt, soll wie ein hund verrecken.
Chr. Gryphius poet. wälder 2, 448;
der skorpion verreckte.
Lessing 1, 17.
c)
von bäumen: (ein) zeitalter, wo es so schwer ist, den feigen menschen vom muthigen, den lässigen vom thatendurstigen, den verdorrten vom grünenden zu unterscheiden, wie jetzo im winter die fruchttragenden bäume aussehen wie die verreckten. J. Paul 11, 13.
d)
in den mundarten sehr häufig, noch zunächst vom vieh gebraucht, dann vom menschen, wenn man den betreffenden verächtlicher weise auf die stufe des thieres setzen will: dieser schandbalg ... ist doch aber gleich in den ersten tagen verreckt. Felsenburg 1, 332; ebenfalls in verächtlicher weise, Schmeller 2, 43 Frommann. Schmidt (Westerwald) 307. Kehrein (Nassau) 1, 429. Woeste (Westf.) 294ᵇ u. s. w.
2)
verrecken nennt man beim hirsch das volle ausgewachsensein seiner hörner. Weber 2, 615ᵃ, also das geweih ist verreckt. anschlusz an die ursprüngliche bedeutung des wortes, vgl. auch Kehrein jägerspr. 307.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1895), Bd. XII,I (1956), Sp. 997, Z. 69.

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Zitationshilfe
„verrecken“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/verrecken>.

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