Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

versehenlich, versehentlich, adj. und adv.

versehenlich, versehentlich adj. und adv.,
vgl. versehlich. ags. forsewenlîce, contemptibly, ignominioosly. Bosworth-Toller, vgl. versehen, verb. II, 1; der dental dringt im deutschen schon in früher zeit ein, die form versehentlich ist erst in neuerer zeit alleinherrschend geworden, zugleich hat sich im neuhochdeutschen die bedeutung aufs engste beschränkt. ahd. farsehanlich, farsehantlich, dispicabilis. Steinmeyer-Sievers ahd. glossen 1, 110 (Graff 6, 121); vgl. versehen, verb. II, 1. mhd. versehenlich, voraussichtlich, was man erwarten, vermuten darf. mhd. wb. 2, 2, 281ᵃ. Lexer mhd. handwb. 3, 223; hierzu der gegensatz unversehenlich, was gegen die erwartung, voraussicht kommt, eintrifft, sich ereignet. vgl. Schmeller bair. wb. 2, 248. Haltaus 1891; provise, firsehenlich. Diefenbach gloss. 468ᶜ; fragend: versehenlich? ironiee: certe. Maaler 431ᵃ; versehener weise, et versehendlich, improviso, inopinato, inopinanter, melius dicitur unversehener weise, de subito, praeter opinionem, ex abrupto. Stieler nachschusz 33ᵃ; diese erklärung ist aus unsicherem sprachgefühl hervorgegangen, die alte bedeutung von versehentlich (= voraussichtlich, vermutlich) ist im untergang begriffen, die im nhd. herrschende (= aus versehen, irrthümlich) noch nicht ausgebildet. bei Diefenbach-Wülcker 566 ist die form versehenclichen belegt.
1)
nach versehen, verb. I, 2, was man vermuten, erwarten, voraussetzen darf, als adj. und adv.: und ist auch versehenlich, daʒ wir unsern herren den kunig niht konnen noch mugen behalten. d. städtechron. 1, 155, 5; (er kommt) versehenlich auf morgen zu uns. 2, 48, 15; und wann esz versehenlich wasz, dasz rex etwe oft nach des rates frunde schicken wurde. 3, 365, 19; doch sye versehenlichen, uns werde ain anderer dann der Nenninger zu byschoffe gegeben. 5, 352, 8; dann solt solichs fürganck haben, das also wol versehenlich ist. 10, 171, 15; denen unser vetter geschriben hat, oder versehentlich noch thun wird; es nimt mich versehenlich, ich vermute. belege bei Schmeller bair. wb. 2, 248; verstärkt: an allen stetten, personen und enden da man das aller versehenlichst herfaren mag. beleg bei Haltaus 1891; nun ist versehenlich das das hymmelsch heer nitt gern ferr von einander ist. Geiler von Keisersberg Marie himelfart 6ᵇ; in ansehung das churfursten, fursten und andere stende in aigner person und durch ire potschaften in so geringer anzall verhanden, auch derselben wenig mer versehenlich oder gewertig. reichstagsakten 4, 307, 7 (j. r.); (ein christliches werk), welchs von dem allmechtigen versehenlich belohnet, und bey meniglich der erbarkeit billich danckbar und gerhümbt wirdet. Luther 2, 75ᵇ; die vermittliche und versehenliche zusage. briefe 2, 336.
2)
die unter 1 behandelte bedeutung ist im nhd. völlig untergegangen, dagegen hält sie sich in der negation unversehentlich, vgl. die anwendung von unversehens unter versehen, verb. I, 2; jetzt wird versehentlich nur im sinne von versehen, verb. II, 3 gebraucht: aus versehen, aus unberechtigtem irrthum; das wort ist weder bei Adelung noch bei Campe verzeichnet. ich bin hier versehentlich hereingekommen; ein versehentlicher miszgriff.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 7 (1905), Bd. XII,I (1956), Sp. 1257, Z. 62.

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vernunftlicht versehrnisz
Zitationshilfe
„versehenlich“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/versehenlich>.

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