Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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scheuen, verb.

scheuen, verb.
stupere, abhorrere, fugere, vitare, fugare.
I.
Formales. mhd. schiuhen, schiuwen, md. schûhen, schûwen, schugen, schûen, prät. schiuhete, schiuhte, schuhte (md. schuche, schûte), schûwete Lexer mhd. handwb. 2, 760, daneben schiehen 725, ahd. sciuhen, scûhan, prät. skiehta, skiuhtun, skiehton Graff 6, 417, mnd. schûwen, schûen Schiller-Lübben 4, 160ᵇ, nnd. schûen Schambach 185ᵇ, schujen Dähnert 417ᵇ, mndl. schüwen, holl. schuwen, dän. sky, skye, schwed. sky, auch ins romanische gedrungen: ital. schivare, schifare, span. portug. esquivar, franz. équiver, altfranz. auch eschiver, churw. schivir, mit consonantierung des u zu v und ausfall des h. Diez⁴ 286. aus dem altfranz. stammt engl. eschew Sceat² 194. das fehlen der brechung des iu im ahd. weist auf den schwund eines j in der ableitungssilbe. die mhd. nebenform schiehen scheint spätere ableitung von mhd. schiech zu sein. man darf das wort als denominativ zum adj. schiech betrachten; stark flectierte formen, die in heutigen mundarten und vereinzelt auch in frühnhd. schriftquellen begegnen, beruhen wol auf falscher analogiebildung. prät. schich, part. geschichen neben scheihhet, gscheihht Schm. 2, 389, g'schîch'n Schöpf 604: ich fürchte mir vor dem tod, den ich mein lebtag nie hab geschichen. Abr. a S. Clara bei Schmeller a. a. o.;
was er für sach
dort schieh, das find er da zwifach.
H. Sachs 4 (1578), 3, 72ᵇ.
part. geschochen Schmeller a. a. o. Seiler 264ᵇ; auch in älteren quellen, so Liliencron 1, 557, 10 (die stelle s. unter 4). der diphthong des stammes zeigt sich schon im bair.-östr. des 14. jh. zu äu umgewandelt: er (der stein elitropius) verstelt daʒ pluot und schäucht vergift und sichert den menschen vor smerzen. Megenberg 445, 33. das alem. hat dagegen die im mhd. übliche zusammenziehung des iu zu ü̂ beibehalten Hunziker. Seiler 264ᵇ. die nebenform mit w statt h, die wie im mhd., frühmd., mnd. und mndl. auch im frühnd. begegnet (scheuweten buch d. liebe 226, 4, die stelle s. unter II, 1, a), hat wol gleich dem frühmd. schûgen als secundäre bildung zu gelten. sie ist auf die heute geltende schreibung ohne h von einflusz gewesen. in älteren nhd. quellen findet sich das h noch geschrieben: scheuhen Dasypodius. Maaler 350ᵃ;
sunst thuͦn eüch scheühen alle stend.
über die entwicklung von scheuchen, das mundartlich auch noch im heutigen sinne von scheuen gebraucht wird (s. unten II, 1, a und b), in der schriftsprache dagegen auf eine gebrauchsart eingeschränkt worden ist, die scheuen verloren hat, vgl. dieses oben sp. 2610.
II.
Bedeutung und gebrauch. die verschiedenen gebrauchsarten lassen sich zurückführen auf die bedeutungen 'zurückfahren, stutzen' (1—4) und 'zurückfahren machen, stutzen machen' (5).
1)
intransitiv, zurückfahren, stutzen, scheu werden oder sein.
a)
der älteste gebrauch ist wol der von thieren: mein rappe scheute. Fr. Müller 3, 283; (von vögeln) wie's trippelt, wie's stutzt, wie's hüpft, scheut, und wiederkommt! Göthe 14, 94; das rosz scheucht, ist, wird scheu Schm. 2, 389;
sô tet er iemer einen swanc
mit sîme swerte stehelîn
dem orse zuo dem mûle sîn,
daʒ eʒ begunde schiuhen
und sich niht langer diuhen
noch trîben ûf Parîsen lieʒ.
Konr. v. Würzburg troj. krieg 34765.
die ursache des scheuens wird durch vor mit dat. bezeichnet: dieweil solche thier (ochsen und rinder) vor der rothen farb schewen unnd wüthend darvon werden. Fischart ehezuchtb. 72; das pferd scheut vor einem hindernisz. in älterer sprache statt dessen auch ab: (im bilde) wann wir sehen das etlich rosz darab (dem schiff) scheuhen unnd das fliehen vorab die groszen faiszten reythengst. Keisersberg schiff der penit. (1512) 10ᵇ; wie nun die rossz und ochsen disz thier sahen, scheuweten sie darab. buch d. liebe 226, 4; von, in folge von, des anblicks von: also scheuten die pferd von dem todten leib. Livius übers. von Schöfferlin (1546) 19; auch scheuen mit genitiv: seind auch der geir alliu âs und allerlai gefügel angreift, dar umb schäuht er der strick niht und der vâchvallen. Megenberg 230, 12. mehr örtlichen sinn hat die verbindung mit an und dativ: nur an meinem neffen scheute das rosz. Schiller Fiesko 5, 14, ebenso die der älteren sprache angehörige mit gegen und dativ: do schühete das ros gegen dem eber. städtechron. 9, 629, 13.
b)
von personen.
α)
besonders im absoluten gebrauche älterer quellen tritt hier ganz wie bei a der sinnliche begriff des zurückfahrens, stutzens oder ein verwandter hervor: únrehta spréchenter, geírrota fóre mir, souuâr er mih kesáh dâr skiêhta er, dannan flôh er. Notker psalm. 100, 7;
ther éngil imo (dem Zacharias) zúasprah,   tho er nan scíuhan gisah.
Otfrid 1, 4, 26;
tháʒ (gut) ni warun síe in war,   bi thiu so skíuhtun se thár,
sar io thés sindes   inzúgun sih thes thinges.
3, 17, 49.
ähnlich von einer kreiszenden, wol wie 'vor angst zusammenzucken, schaudern': uber ein kleins hernach begunt sie zu seufftzen, zu echtzen, zu krechtzen, zu handwinden, zu weinen, zu greinen, zu schreien, zu schewen, zu zitteren, zu schaudern, zu beben, und sich ubel genug zu geheben. Garg. 103ᵇ.
β)
mit näheren bestimmungen verbunden dann auch im weiteren sinne von 'scheu empfinden', sowol von der scheu aus furcht oder abneigung, als auch von ehrfürchtiger oder schamhafter scheu, so:
nam sî sîn (des liebesgetändels) war,
des schûhten sî doch kleine.
Reinfried v. Braunschweig 3759;
du edles angesichte (Christus),
dafür sonst schrickt und scheut
das grosze weltgewichte,
wie bist du so bespeit.
P. Gerhardt 49, 10 Gödeke.
die in diesen belegen vorliegenden syntactischen fügungen begegnen auch sonst bei scheuen in dieser anwendung: scheuen vor, älter für mit dativ: da gedacht der magister wol, dasz Esopus ein höflicher und geschickter mensch were, doch schewet er vor der heszlichen gestalt. Alberus fab. 11 neudr.; gestern abend hab ich einen salto mortale über 3 fatale capitel meines romans gemacht, vor denen ich schon so lange scheue. Göthe an frau v. Stein 1, 121. statt dessen mit genitiv, in älterer sprache: gerne thät ichs, dasz ich m. g. herrn zu gevattern bäte, aber ich scheu des prangens, das man mir würde zumessen, als der ich mich mit einem mönchen- und nonnenkinde so wolt herfurthun, und grosze herrn zu gevattern haben. Luther br. 3, 113;
harto scíuhit er (der teufel) thin (Christi).
Otfrid 5, 2, 18.
den übergang zu dem unter 2 behandelten gebrauche vermitteln die folgenden verbindungen. mit inf. und zu: er (Thersites) war so grob und unverschamet, dasz er auch der öbersten nicht schonet, und ehrliche fromme häuptleut nicht schewet mit schmähworten anzutasten. Alberus fab. 9 neudr.; den mann, welchem entgegenzutreten sie in diesem augenblicke verlegen scheute. Freytag handschr. 1, 228;
sie scheun des schöpfers plan zu schelten,
dasz er von myriaden welten
an dich (den zufall) den ball der unsern band.
Thümmel reise 3, 24.
mit abhängigem satz: bair. ich scheuch (fürchte), der vader lebt nimmer lang. Schmeller 2, 389.
c)
von theilen des körpers, deren gehemmte bewegung das scheuen offenbart, und die dann gewissermaszen als selbständige träger der empfindungen aufgefaszt werden: schon starrt das leben, vor dem ruhebette wie vor dem grabe scheut der fusz. Göthe 8, 276; in diesen heiligen geweihten hain scheut ihr verfluchter fusz zu treten. 57, 63; der mund scheut das schreckliche auszusprechen.
2)
transitiv, indem die bezeichnung des gegenstandes der scheu als accus.-obj. hinzutritt.
a)
furcht oder abneigung haben vor etwas, einem, meist mit dem nebenbegriff des vermeiden wollens, aus dem wege gehens.
α)
von thieren, meist in älterer sprache und oft mit deutlichem hervortreten der alten bedeutung 'stutzen':
sîn ros die tôten schûhte.
Virginal 218, 10;
dô sach er michlen grûwen (einen abgrund),
den ê daʒ pfert plag schûwen.
Jeroschin 22453.
freier:
reht alsam der hase en jage
schiuhet sîne weide.
Erec 9807;
man sal den esel blûwen,
so er den gûden weg will schûwen.
Sal. u. Mor. 51ᵃ.
β)
von personen, auch hier in früherer sprache manchmal noch an die alte bedeutung rührend:
si schûhten graben noch das mos,
zesamene sprancten si diu ros.
Virg. 50, 4,
meist jedoch freier. mit persönlichem object:
er schûhte âne mâʒe
die liute.
Gregor. 2589;
swie dû mich (siechen) niht enschiuhest, ..
du vertrügest doch wol mînen tôt.
arm. Heinr. 422;
nu enschiuht mich (genesenen) weder man noch wîp.
1479;
ich schiuh iuch durch den siechtuom niht.
her könig, ich bin reich an gut,
doch iederman mich schewen thut,
gar niemandt mich hat lieb noch werdt,
meiner gselschaft noch freuntschafft gert.
H. Sachs 14, 132, 28 Keller-Götze;
tapfre männer sollen haben was vom fuchse, was vom löwen,
dasz betrieger, sie nicht fangen, dasz sie frevler, etwas scheuen.
Logau 3, 43, 20;
und mein gesaltzner schertz, der manches ohr erfreut,
biesz andre, die er traff, wie pfeffer in der nasen,
ein ieder scheute mich wie einen hund im rasen.
Günther bei Steinbach 2, 400.
sprichwörtlich: thue recht, scheue niemand! recte faciendo neminem timeas! Frisch 2, 175ᵇ. Gottsched sprachk. 556. Simrock 387. heute meist in der form: thue recht und scheue niemand. ähnlich:
ich thue recht und scheue keinen feind.
Schiller Tell 3, 1.
mit sonstigem concreten object, so mit bezug auf thiere, deren fleisch als widerlich, ungenieszbar gilt und darum verboten wird: denn alles was nicht flosfeddern und schupen hat in wassern, solt jr schewen. 3 Mos. 11, 12; und dis solt jr schewen unter den vogeln, das jrs nicht esset. 13, weiter auf sächliche concreta, vor denen man furcht oder abneigung empfindet: (im bilde) ih skiehta die uuéga, an dien man tiûrera ferliêsen mag, danne aurum sî et topazion. Notker ps. 118, 28;
das land ich schew,
da man nit achtet eer und trew.
das feuer scheuen, in der sprichwörtlichen wendung: gebrannte kinder scheuen das feuer. Gottsched sprachk. 550; ein gebranntes kind scheut das feuer, ein oft versengter greis scheut sich zu wärmen. Göthe 56, 130. das licht scheuen: im finstern bricht er (der ehebrecher) zun heusern ein, des tages verbergen sie sich mit einander, und schewen das licht. Hiob 24, 16; sünden und böse geister scheuen das licht. Schiller kabale 5, 1; du brauchst das tageslicht nicht zu scheuen. H. v. Kleist Käthchen v. Heilbr. 3, 4. Mit abstractem object, opfer, gefahren, mühen, den tod scheuen und ähnliches: unte uuánt ér (Christus) ârbeit dúrch mînen uuillon lêit, .. so neuuíl ôuh îh nechêine árbêit dúrh sînen uuillon scûhan. Williram 48, 37; du (Christus) ... ne scûhest hîe nîet dehêina asperitatem laboris pro amore meo. 121, 10; versagt es (das geschick) dir, den nie gescheuten tod im angesicht der sonne rasch zu gönnen, um dir des grabes vorgeschmack im ekeln moder zu bereiten? Göthe 8, 276;
wenn er (der wein getrunken hat) zum sturm und streit soll gan,
so scheucht er weder wurff noch schleg.
Wackernagel leseb. 1013, 2;
(der wohlerzogene sohn) fragt nichts nach hohen bäuen,
wenn er nur hitz' und frost und so was nicht darf schäuen,
so ist er wohl versorgt.
nicht opfer, nicht gefahren will ich scheu'n,
den letzten schritt, den äuszersten, zu meiden.
Schiller Wallenst. tod 1, 7.
unrecht, sünde, untugend, schmach scheuen und ähnliches: unreht ne hábeta ih fóre oûgon, uuanda iʒ mir lêidsam uuas, pe diû skiêhton iʒ miniu oûgen. Notker ps. 100, 3; (die gottlosen) stehen fest auff dem bösen weg, und schewen kein arges. ps. 36, 5; wende von mir die schmach, die ich schewe. 119, 39;
wis rehtvertik, triuwe,
du gâch zuo deme zil, snabe niht, sünde schiuwe.
minnes. 3, 98ᵃ Hagen;
die rede ich hie lâʒe,
wan ich schiuhe die unmâʒe.
krone 19900;
nu merket wie man sol
die untugend schiuhen wol.
welscher gast 12004;
mit personificierung des schildes:
der schilt wil mit zühten   vil baltlîcheʒ ellen:
er haʒʒet, er schiuhet, schand und ir gesellen.
vom bösen heiszt es:
mes und predig du scheuchest,
di guͦten werich du fleuchest.
Suchenwirt 39, 113;
vom falschen:
wan (man) brichet keine triuwe an ime,
der stæte und êre schiuhet.
K. v. Würzburg troj. krieg 38479.
in anderen fügungen auch in milderem sinne, wie 'anstosz nehmen an': sü (die heiden) schühent an der e keine sippeschaft. städtechron. 9, 533, 4; ich (gott) werde jr gedechtnis auffheben unter den menschen. wenn ich nicht den zorn der feinde schewete, das nicht jre feinde stoltz würden, und möchten sagen, unser macht ist hoch, und der herr hat nicht solchs alles gethan. 5 Mos. 32, 27; wo ich in eüwerm verstand, vermögen und wesen wer, und jr meine jugent nit scheuhen dörften, wiszt ich in aller statt kein weibsbild, mit deren ich lieber haushalten wolt. rollw. 75, 9 Kurz; da mancher könig und curfürst in der geschichte überhüpft würde, wenn sein geschichtschreiber die lücke in der successions - leiter nicht scheute. Schiller räuber schauspiel 1, 2.
γ)
von theilen des körpers, die als selbständige träger der scheu aufgefaszt werden: und so vil destmer (ist der tod nahe) so überdas die augen den tag und das liecht scheuhen. Celsus übersetzt von Khüffner (1531) 10ᵃ.
b)
im weiteren sinne von 'meiden, fliehen':
mancher wenet den wolff schûwen,
dem begeynet der lebe, in drûwen.
Salom. u. Mor. 50ᵇ;
mir sint die herren milte niht,
mich schiuht ir guot, sam wildiu krâ den schüzzen.
minnes. 2, 397ᵃ Hagen;
mit bezug auf erwünschte, begehrte dinge:
got alle die verwâʒe,
dur die ich schiuhen muoʒ
ir wîplich zarteʒ bilde.
minnes. 1, 64ᵃ Hagen;
waʒ sol mîn werden
ûf der erden,
vrouwe, ob ich ze lange schiuhen muoʒ
dich und dinen werden gruoʒ.
2, 320ᵇ.
c)
ehrfürchtige scheu empfinden vor, aus ehrfurcht rücksicht nehmen auf: das ist mein befelh, das man in der gantzen herrschaft meines königreichs, den gott Daniels fürchten und schewen sol. Dan. 6, 26; ich (gott) gab jm (Levi) die furcht, das er mich fürchtet, und meinen namen schewete. Maleachi 2, 5; dagegen stellte sich alle würde, welche jenem ehegatten (dem vicar von Wakefield) eigen, hier in der gattin dar. man konnte sie nicht ansehen, ohne sie zugleich zu ehren und zu scheuen. Göthe 25, 345;
ir sollent abe lân
und schûwen ûwer krôn,
die ûch ist angeerbt.
Altswert 183, 38.
ähnlich, von schamhafter scheu:
nur hurtig! zieht euch ab! was seyn soll musz geschehen!
ruft Hermes. mich darf keine scheu'n;
ich werd' indesz bei seite gehen.
Wieland 10, 178.
3)
reflexiv. bezeugt seit dem ausgange des mittelalters. seltener im sinne von 'sich fürchten, angst haben': scheue dich nicht, jm die magd zu geben. Tob. 7, 12, häufiger wie 'widerwillen, ekel, abneigung empfinden': das jr von jrem fleisch nicht esset, und fur jrem ass euch schewet. 3 Mos. 11, 11; sich scheuen mit einem andern aus einem glase zu trinken. Adelung, oder wie 'ehrfürchtige, schamhafte, schüchterne zurückhaltung fühlen': mein gott, ich scheme mich und schew mich meine augen auffzuheben zu dir. Esra 9, 6; ein grewlich volck, .. die sich nicht schewen fur den alten, noch sich der kinder erbarmen. Baruch 4, 16. die syntactischen verhältnisse entsprechen denen des intransitiven gebrauchs. absolut: ich will meinen lieben son senden, vieleicht, wenn sie den sehen, werden sie sich schewen. Lucas 20, 13. sich scheuen vor, älter für etwas (im bilde): doch welche sich fur dem reiffen schewen, uber die wird der schnee fallen. Hiob 6, 16; ich werd mich schewen all mein lebetage fur solcher betrübnis meiner seelen. Jes. 38, 15; das die, so fur ubergehen, sich fur (vor dem begräbnisplatz) schewen werden. Hes. 39, 11; denn der herr hasset alle abgötterey, und wer jn fürchtet, der schewet sich dafur. Sir. 15, 13; sich vor dem wasser scheuen, refugere et reformidare aquam Steinbach 2, 400; sich vor den blattern scheuen. Adelung. vor einem: keine person solt jr im gericht ansehen, sondern solt den kleinen hören wie den groszen, und fur niemands person euch schewen, denn das gerichtampt ist gottes. 5 Mos. 1, 17; da nun Saul sahe, das er (David) sich so klüglích hielt, schewet er sich fur jm. 1 Sam. 18, 15; rhümet den herrn die jr jn fürchtet, es ehre jn aller same Jacob, und fur jm schewe sich aller same Israel. ps. 22, 24; denn viel schelten mich ubel, das jederman sich fur mir schewet. 31, 14; sie werden sich fur meinem son schewen. Matth. 21, 37; ob ich mich schon fur gott nicht fürchte, noch fur keinem menschen schewe. Luc. 18, 4; sich vor gott scheuen, divinum numen horrere Steinbach 2, 400; er scheut sich vor dem volke, populum veretur. ebenda. mit genitiv verbunden: schewh dich deʒ niht gen den steten. d. städtechr. 1, 150, 25 (vom jahre 1388); der sich seines namens, bey so hochstraffbarer ... that gescheuet, und selber damit gnugsam zu tage gegeben, dasz er nicht werth einen ehrlichen namen zu führen. Schuppius 620;
denn eines kusses darf dein purpur sich nicht scheuen.
fast scheu' ich mich des sonderlings. fast macht
mich seine rauhe tugend stutzen.
Lessing 2, 245 (Nathan 2, 5);
was sich nie der liebe scheute,
liebe morgen sonder wank.
Bürger 124ᵇ.
mit inf. und zu: Esra 9, 6. Tobias 7, 12 (die stellen s. oben); sich scheuen eine frau zu nehmen, ab uxore ducenda abhorrere Steinbach 2, 400; ich scheue mich das zu thun, verecundia me subit hoc faciendi. ebenda; o über euch pharisäer, euch falschmünzer der wahrheit, euch affen der gottheit! ihr scheut euch nicht vor kreuz und altären zu knien. Schiller räuber schauspiel 2, 3;
ein tapfferer helden-mut ist besser nicht zu kennen
als wann er sich nicht scheut schwartz schwartz, weisz weisz zu nennen.
Logau 2, 149, 50;
der vermessenheit,
dem stolzen taumel des infanten, der
sich nicht gescheut, mit diesem strafbaren
verständnisse zu pralen, danken wir
die frühere entdekkung.
Schiller dom Karlos 3, 4.
statt des reflexiven acc. begegnet in älterer sprache auch der dativ:
jedoch schew ich mir dafür schier.
Garg. 276ᵃ.
vielleicht bietet diese construction wie bei sich fürchten die erklärung für die entstehung des gebrauchs mit acc. des reflexivs, der sich danach aus dem intransitiven entwickelt haben würde. möglich ist aber auch, dasz er in der unter 5 erwähnten bedeutung 'scheu machen' wurzelt.
4)
unpersönlich, so im bair.: es scheucht mir, hat mir geschochen an einer person, sache. Schmeller 2, 389, eigentlich 'bei mir entsteht scheu, ist scheu vorhanden', im gebrauch dem sinne von 1 ähnelnd. auch aus älteren oberdeutschen quellen zu bezeugen: opfernd mir kein opfer mer dann es ist vergebens. ab ewern röuchen scheucht mir. Züricher bibel (1530) 521ᵃ (Jes. 1, 13, bei Luther: das reuchwerg ist mir ein grewel);
von der letz sind ir snell geflochen,
do die Schwizer zugend her;
der hinderst fuͦsz was üch unmär,
üch hat übel ab in gschochen.
Liliencron hist. volksl. 1, nr. 122, 10.
5)
zurückschrecken transitiv, vertreiben, scheu machen.
a)
durch erregung von furcht zurücktreiben und vertreiben, allgemein: dô Abraham sîn opher bereitet hête, dô kômen die vogele unde sâʒen dar ûf unde wolten eʒ vreʒʒen und unreinen: dô schûhte er sie dâ von. mystiker 1, 313, 16; der stain (achates) hât die kraft, daʒ er vergift schäucht. Megenberg 432, 24; ist der mensch käusch der den stain (jaspis) tregt, so schäuht er die fieber und die waʒʒersuht von im. 449, 3; die lust .. wird abgebildet durch die raub-vögel, welche von Abrahams opffer genüssen wollen; die er aber gescheuet, wie wir unsere böse, unreine gedancken durch nichteinwilligung vertreiben können. Butschky Pathm. 249; im bilde:
diu kerge schiuhet êre hin.
minnes. 1, 341ᵃ Hagen.
b)
bange, ängstlich machen in weiterem sinne: es ist die allmächtig auferstehung Christi ja zu vielmal ein gröszerer trotz, denn dasz er sich sollt lassen scheuen und feig machen durch ihren augenblicklichen gewalt der strohern und papirern tyranney. Luther briefe 2, 164; warumb will ich mich dann verwundern oder schewen lassen, (und) darumb das ein theil gifft ist, den andern, mit dem, verachten? Paracelsus (1616) 1, 256 B;
vil harte schuhet mich diu vorht,
daʒ ich daʒ houbet habe verworht,
ich engenieʒe dîner guote.
kaiserchr. 11693 Schröder.
6)
substantivierter infinitiv: das scheuhen, horror Maaler 350ᵃ. von einem pferd, nach 1, a: sagen sie dem herzog, dasz .. sich der schimmel gut hält, bis aufs scheuen. Göthe an frau v. Stein 1, 217. im weiteren sinne von scheu: aber iezund findt man pfaffen und leider den meisten teil der geistlichen, die nit allein böse werk nit fliehen, sunder sich auch der nit schämen, treiben die offentlich und on alles scheuen, darvon grosz ärgernis kompt. Schade sat. u. pasqu. 2, 27, 19;
ertzneien und ewr schewen (vor mir, dem tod)
sol gar kein furgang han.
bergreihen 91, 20 neudruck.
die folgenden wendungen gehören der älteren sprache an: ein scheuhen ab einem haben, aversari aliquem Maaler 350ᵃ; es hat yedermann ein scheuhen darab, alle wält het darab ein grausen, es was allen menschen zuwider, omnes abhorrebant. ebenda; (sie) hatt kein scheuhen an der wirdigkeit seines priesterambts. buch d. liebe 215, 1; ein scheuhen hetten sie ab Frankfurt, von wegen desz frembden geschwinden kauffmanns, die in ir faul anschleg möchten abmercken. Kirchhof wendunm. 1, s. 497 Österley. in gleicher bedeutung: verhofften villeicht auch mit unserm schutz vor jren feynden deste sicherer ze sein, weil jederman ab unserm nammen ein scheuen truͦg. Franck weltb. 228ᵇ; dasz wir nicht schewen tragen sollen. Ayrer proc. 1, 1; weil ich dir biszher so undanckbar gewesen bin, und habe kein scheuen getragen, umb einer augenblicklichen freude willen, die ubelthat zubegehen. Schuppius 459. ähnlich:
liesz den seursten luft von im,
das ich davon ain scheuchen nim.
fastn. sp. 327, 6.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 14 (1893), Bd. VIII (1893), Sp. 2613, Z. 50.

verscheuchen, verscheuen, verb.

verscheuchen, verscheuen, verb.
1)
scheu machen, wegjagen, mhd. verschiuhen, mnd. vorschuwen. zusammensetzung mit scheuchen, scheuen. diese beiden formen, ursprünglich in der unzusammengesetzten bildung dasselbe wort, trennen sich nachher, indem die form scheuen für die intransitive und transitive, scheuchen mit verdichtetem h für das transitiv benutzt wird. in der zusammensetzung mit ver, die stets das transitiv begünstigt, ist sie mir nur transitiv im nhd. vorgekommen, neben verscheuchen auch verscheichen, z. b:
mancher verscheychet me dann er jagt.
Brant narrensch. 74, 15.
überhaupt hat sich nur das reflexiv verscheuen bei Hippel gefunden. ha, ha Kundlob mein freund, diese mucken hie werden mich noch gar blenden: reych mir etliche weidenbäume für ein muckenwadel oder fuchsschwantz her, sie zu verscheychen: dann er sah diese eisenmucken für roszbrämen an. Garg. 455 (1590); da hingegen die freude mit ihrem bescheidenen gefolge auf der gebahnten strasze und überall anstöszt, durch jedes 'wer da' erschreckt und ach wie oft schon durch den schrecken verscheucht wird. Thümmel 1, 12; es darf auch nicht regnen, denn die Pariser fürchten nichts mehr als regen und dieser verscheucht die hunderttausende von männern, weibern und kindern die meistens geputzt und lachend nach den wahlstätten ziehen. H. Heine 8, 46;
man sieht, dasz die nunmehr, die freyheit vor gesuchet,
verscheucht, verstreut, versteckt, gekerkert und verfluchet.
A. Gryphius 2, 419 Palm;
nimmer vergisset die heerde, von jenen höhen verscheuchet,
deiner hürde; sie denkt ihrer im dunkelsten thal.
Herder phil. u. gesch. 1, 20 (1820);
bildlich: warum mit ihr die groszen bilder der wahrheit, götter und heldengestalten oder die zaubertafel historischer wahrheit, das gemählde verwirren und zu schatten verscheuchen. lit. u. kunst 11, 346; den geist ganzer gesellschaften, familien, ämter und stände bilden oder miszbilden sie (die sitten); an ihnen erhält sie die schönste zier der menschheit, die moralische grazie, oder wird durch sie verscheucht, verunziert, abgeschmackt verderbet. 12, 479 (1821); zwar hat der krieg seine blutigste bühne unter uns aufgeschlagen, und es ist eine alte klage, dasz das allzunahe geräusch der waffen, die musen verscheucht. verscheucht es sie nun aus einem lande, wo sie nicht recht viele, recht feurige freunde haben ... so können sie auf eine sehr lange zeit verscheucht bleiben. Lessing 6, 2; reichen filzen ein drittheil ihrer sorgen vom hals schaffen, die ihnen nur den goldnen schlaf verscheuchen ... siehst du das heis ich erlich sein. Schiller hist.-krit. ausg. 2, 42 (räuber 1, 2); ein mehr körperliches als geistiges unbehagen ... würde mich mit den andern freunden ebenfalls von hier verscheucht haben, aber mein bester freund lag hier krank darnieder. H. Heine 8, 168;
ich musz mein list gar eben spitzen,
das mir der vogel thu auff-sitzen,
den ich vor gar verschewet hab.
da kumbt gleich der einfeltig knab.
H. Sachs 3, 3, 23ᶜ (14, 92, 30 Keller-Götze);
gott! welche sprache, Sir, und welche blicke!
sie schrecken, sie verscheuchen mich.
Schiller hist.-krit. ausg. 12, 506 (M. Stuart 3, 6);
part. prät.: gaben ihm darfür ein gebletzten armseligen küttel, welchen ein müllerknecht da inn rauch gehengt hat, die läusz darausz zu räuchen und zuscheychen: also zog der arm bitterkoderisch tropf darvon, wie ein verscheichter hasz. Garg. 522 (1590); du trippelst wie ein verscheucht huhn in den straszen herum. Fr. Müller 2, 48; übertragen: lassen sie uns diesen gesichtspunkt festhalten, und wir werden .. eine reihe andrer schöner vorstellungen bemerken, womit Griechen und Römer sich das andenken des bittern todes versüszten oder verscheuchten. Herder lit. u. kunst 11, 437; aber wehe, wenn diese grabengel, die man der menschlichkeit als denkmahle der liebe und milde gabe zuliesz, ein hauptwerk der kunst werden sollen und gar gelehrte abstractionen und allegorien wie gespenster alles verscheuchen. 11, 343 (1821); das doch .. mir ein mann in die nähe kommen .. und die hohen gedanken .. verscheuchen muszte. Thümmel 3, 179; ich bitte dich, verscheuche diesen starren, in sich nagenden blick mit einigem lächeln. Klinger 1, 3; meine gegenwart verscheucht das glück und die gute that wird ohnmächtig, wenn ich dazu trete. Göthe 19, 12; aber wie das erhabene von dämmerung und nacht, wo sich die gestalten vereinigen, gar leicht erzeugt wird, so wird es dagegen vom tage verscheucht, der alles sondert und trennt. 25, 14;
o wer den ring, den ring der göttin hätte,
der jeden wahn verscheucht, der freundlich
vor dem der falschen kunst, der Gorgonette,
die larv entfällt ..
Herder lit. u. kunst 12, 145 (1821);
aber die geweihten kerzen
des jahrhunderts flackern lustig,
und das licht verscheucht die bösen
mittelalterlichen schatten.
H. Heine 17, 63.
2)
sich verscheuhen, sich selbst scheu, wirr maehen: er gewöhnte ihm sein: wie so? auf eine so auffallende art ab, dasz er sich bei jeder frage verscheute. Hippel lebensl. 4, 393.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1895), Bd. XII,I (1956), Sp. 1068, Z. 82.

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vernunftlicht versehrnisz
Zitationshilfe
„verscheuen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/verscheuen>.

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