Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

zagen, verb.

zagen, verb.,
ein zage, feiger sein; ahd. zagên in arzagên Graff 5, 583, vgl. auch erzagen th. 3, 1076, mhd. zagen, hier noch als einfaches wort selten; wie es auch nhd. sich gegen verzagen in die gewählte oder dichterische sprache zurückzieht (vgl. dazu unter zag 5). der mhd. mehr hervortretende äuszerliche sinn des zurückhaltens, zögerns:
die der vluht vergâʒen,
die wurden âne zagen
alle meisteil erslagen
Iwein 3745,
wandelt sich seit den frühen zeiten des nhd. zum bloszen ausdruck einer seelenstimmung: zagen pavere, timere Schottel 1446; zagen pavere, timere, horrere, metuere, perhorrescere, extimescere aliquid Stieler 2592; ich zage, abjicio animum, animo frangor Steinbach 2, 1063; zagen, desperatione trepidare, desperatione torpere, despondisse animum, abjicere animum, non audere Frisch 2, 463ᵃ. es steht:
1)
absolut: und der herr sprach zu Josua, fürchte dich nicht, und zage nicht Jos. 8, 1; sey getrost und unverzagt, fürcht dich nicht und zage nicht 1 chron. 23, 13; merk auff mich, und erhöre mich, wie ich so kleglich zage und heule ps. 55, 3; und nam zu sich Petrum, und die zween söne Zebedei, und fing an zu trawren und zu zagen Matth. 26, 37; auff erden wird den leuten bange sein, und werden zagen Luc. 21, 25; rarae sunt masculae mulieres, communiter infirmae, zagen leichtlich Luther 25, 46, 13 Weim.; ein wenig zagen, subtimere, trepidare, inhorrescere, metum concipere Stieler 2592; heimlich zagen, metu mussitare, metu suspensum esse ebenda; 'lasz sehen, was du trägst', sprach der gebieterische eheherr und risz mit ungestüm der zagenden die schürze weg Musäus volksm. 1, 79 Hempel; auch die tapfersten zagten, und eine ehrwürdige schaar im dienste grau gewordener krieger erröthete nicht, ihre besorgnisse zu gestehen Schiller 8, 230;
es zittert die natur, weil ietzt ihr vater zaget (Christus am kreuze)
wer, wann glücke blühet, trotzt, zaget auch, wann glücke bricht
Logau 2, 201, 35;
drum, liebes paar, zagt nicht! eilt auf beblümter spur
zum altar, weil der lenz euch locket
Gotter 1, 81;
wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen!
Schiller 14, 388 (Tell 4, 2);
wie arm scheint, wie geringe,
wie wenig deiner werth,
was zagend ich dir bringe,
zu schmücken deinen herd!
Freiligrath dicht. 1, widmung an Deutschland;
die zwerge stehn und zagen,
und neigen das gesicht.
'wer wollte solches wagen,
wir, herre, sicher nicht!'
1, 59;
statt des persönlichen subjects ein solches der stimmung:
es ist die liebestrunkenheit,
die mich erbärmlich plagt,
von tag zu nacht, von nacht zu tag
in meinem herzen zagt
Göthe 6, 210 Weim.;
der krauskopf bekam befehl fortzufahren und gehorchte mit zagender bereitwilligkeit Musäus volksm. 1, 59 Hempel; im gegensatz zu verzagen: ich werde zagen, aber nicht verzagen Mathesius Sar. 68ᵇ.
2)
zagen vor einem oder etwas: jr solt euch nicht fürchten noch zagen fur diesem groszen hauffen 2 chron. 20, 15; seid getrost und frisch, fürchtet euch nicht, und zaget nicht fur dem könige von Assur 32, 7; warum zag ich vor dieser bohrenden spize? Schiller 2, 189 (räub. 5, 1);
der glücklichste hat seine plagen,
der freyste seine sklaverey;
der eine wirklich; andre zagen
vor schrecken ihrer phantasey
Gotter 1, 225;
also taucht er zurück in die meng hochherziger Troer,
zagend vor Atreus' sohn, der göttliche held Alexandros
Ilias 3, 37;
auch in geschwächterem sinne, wie sich scheuen vor etwas: jetzt stehen in den bibliotheken ganze gefache von altdeutschen büchern erfüllt und die verleger zagen nicht mehr vor dieser literatur J. Grimm vorrede zum wb., 1, s. VII.
3)
seltener und nur in älterer spr. mit präp. an:
ich wil euch leren die andern künst alle,
darinnen solt ir werden klug und weis, ...
das ir ehre und lob davon sollet haben,
daran sollet ir nicht zagen
fastn. sp. 911, 3;
oder mit über: worüber zagen, afformidare aliquid, et pavidare, sive pertimescere Stieler 2592; nicht mehr verzagen, sive worüber zagen, timorem omittere, vacuum metu esse, animo adesse ebenda.
4)
zagen mit zu und infinitiv: um die grotte kam eilig ein mädchen, ein groszes tuch mit frischgemähetem berggras auf dem rücken, ängstlich hielt sie auf der felsplatte an und zagte über den gebogenen steg zu gehen Freytag verlor. handschr. 3, 299;
er (der blind gewesene) übt die blicke, die noch zagen,
der sonne feuer zu ertragen,
an örtern, wo ihr strahl gedämpft
mit braunen schatten dämmernd kämpft
Gotter 1, 229;
wie bist du schön, du tiefer, blauer see!
es zagt der laue west, dich anzuhauchen,
und nur der wasserlilie reiner schnee
wagt schüchtern aus der stillen fluth zu tauchen
H. Leuthold gedichte (1879) s. 27.
5)
zagen in formelhaft allitterierender verbindung mit sinnverwandten verben: (Jesus) fieng an zu zittern und zu zagen, und sprach zu jnen, meine seele ist betrübt, bis an den tod Marc. 14, 33; er zittert und zagt, desperatione trepidat Steinbach 2, 1063; wer nu in geringer fahr bald zaget und zweiffelt Luther 28, 419, 37 Weim.; hebt das hertz an zu zagen und zweiveln 29, 571, 32; den soll mein arm gleich zur leiche machen, der jemals zagt oder zweifelt, oder zurücktritt! Schiller 2, 48 (räuber 1, 2); wer liesze sich nicht lieber den arm abnehmen, als dasz er durch zaudern und zagen sein leben auf's spiel setzte? Göthe 19, 62 Weim.
6)
der infinitiv als subst.: da rasselten der pferde füsze für dem zagen jrer mechtigen reuter richter 5, 22; ich sprach in meinem zagen, ich bin von deinen augen verstoszen ps. 31, 23, vgl. 116, 11; wie ich solches in meinem zagen und tieffer not erfaren und erfunden habe Mathesius Sar. 4ᵇ; inwendig furcht, und auswendig zagen, intus pavor et foris formido Stieler 2593;
du zauderst zu ihr zu gehen!
du fürchtest sie wieder zu sehen!
fort! dein zagen zögert den tod heran!
Göthe 14, 229 Weim.;
unnützes zagen! zaudern und plaudern!
237;
so trat ich in den hohen dom
mit schwankem schritt und freudgem zagen
Uhland ged. 399;
und er sprach mit zittern und zagen, herr, was wilt du das ich thun sol? ap. gesch. 9, 6.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 27, Z. 36.

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Zitationshilfe
„zagen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zagen>.

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