Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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zagel, m.

zagel, m.,
schwanz u. ä.
1)
das wort ist in einiger verschiedenheit des sinnes von alters her über die meisten germanischen sprachen verbreitet; gothisch als neutrum tagl einzelnes haar, altnord. tagl pferdeschwanz, schwedisch tagel pferdehaar der mähne und des schweifes, norwegisch tagl pferdehaar; ags. tägl schwanz, engl. tail; ahd. zagal schwanz, plur. zagela, mhd. zagel, plur. zagele und zegel; im altniederdeutschen fehlt auffallenderweise das wort, im mittelniederdeutschen wird es in der form tzagel und sagel aus dem hochdeutschen entlehnt, vgl. Schiller- Lübben 4, 10; cauda saghel vel stert Dief. 108ᵃ; cauda stert, saghel nov. glossar. 61ᵃ, doch ist später in mundartlichen nd. wörterbüchern ein tagel als geflochtener prügel von riemen oder stricken oder ende vom strick zum prügeln aufgeführt Richey 303; brem. wb. 5, 4; Dähnert 483ᵃ; Schütze 4, 243 und Frischbier preusz. wörterb. 2, 390ᵇ kennen nd. tagel neben seiner eigentlichen bedeutung schwanz als getrocknete ochsenruthe zum prügeln, ferner peitsche und strick; so dasz hier eine spätere umformung des hochdeutschen wortes ins niederdeutsche vorliegen wird. alle bedeutungen treffen in der ursprünglichen vorstellung des herabhängenden haarbüschels zusammen (nur das goth. hat den begriff vereinzelt), und daher hat die zusammenstellung mit altindisch daça die am ende eines gewebes hervorragenden zettelfäden, franzen, verbrämung eines gewandes, lampendocht, die zuerst Fick und nach ihm Uhlenbeck etymol. wörterb. der goth. sprache (1900) s. 144ᵇ vertraten, viel wahrscheinlichkeit für sich.
2)
ausgebreitete verwendung hat das wort, wie noch jetzt im englischen, so bei uns im mhd. gefunden, wo es in eigentlicher und mannigfacher bildlicher bedeutung steht. mit dem 15. jahrh. beginnt es seltener zu werden und für den schriftgebrauch langsam abzusterben, dergestalt dasz es in den wörterbüchern bis auf Stieler noch als lebendig angeführt, aber von Steinbach gar nicht mehr, von Frisch nur aus gelehrter kenntnisz erwähnt wird, während Adelung es als provincielles, im hochdeutschen unbekanntes wort bezeichnet. der mundartliche gebrauch geht gleichfalls zurück, auch hier wird es für einzelne gegenden des oberdeutschen als veraltet gekennzeichnet (Schm. 2², 1089. Fromm. 1, 263); doch lebt es immer noch so kräftig, dasz in einzelnen fällen seine anwendung selbst bis auf die heutige schriftsprache ausstrahlt (vgl. 3); in voller form als zagkel, zagel Schöpf tirol. idiotikon 824, zaggl Lexer kärnt. wörterb. 262ᵃ; siebenbürgisch-sächsisch zôgel Fromm. 5, 39, 26; als provincialwort zagel cauda Nemnich 2, 918; in den hochdeutschen mundarten Preuszens zagel, dem. zagelchen Frischbier preusz. wörterbuch 2, 485ᵇ; häufiger mit innerer zerrüttung, nordfränkisch zäl, zöl, auf der Rhön zael Schm. a. a. o.; hessisch zâl, zael Vilmar 464; thüringisch zaul: der zagel, quod Thuringi mei zaul appellant, cauda Stieler 2601; zahl, plur. zähle, cauda, mit dem zahle wackeln, caudam agere Steinbach 2, 1064; schlesisch zagel, zâl, zôl Weinhold 107ᵃ; meine lusche (eine hündin)! ... se wedelte su mit em zahle, wen ich hem kam aus der stodt A. Gryphius verliebtes gespenst (erster druck) 11; eine zerrüttung, die sich bereits in formen des 14. bis 16. jahrh. zeigt: einen valen ossen mit ufgerachten hornern und mit einem zindelichen (zottigen) zeile weisth. 6, 396 (zwischen Neckar, Main und Rhein von 1338); rauch wie eyn hund mit eynem langen zähle Nigrinus papist. inquisition 650; die nater, die vorn zungelt und hinden mit irem zal die virgift guszet d. städtechr. 17, 171, 16; cauda zale, zeyl, czelle Dief. 108ᵃ; penis eyn perdes zale 422ᶜ. vgl. auch unter zagelholz, zagelmeise, zagelvieh.
3)
die eigentliche bedeutung hat sich seit dem ahd. derart erweitert, dasz zagel nicht nur den behaarten schwanz von säugethieren, sondern, ohne rücksicht auf haarwuchs, auch den jedes thieres, der vögel, amphibien und fische bezeichnet: so ser (der löwe) gât in demo walde un er de jagere gestincit, so vertiligôt er daʒ spor mit sînemo zagele Müllenhoff und Scherer denkm. ² 1262, (1, 7); ter aspis trucchit ein ôra an die erda, in daʒ ander stôʒit ir den zagel Notker ps. 13, 3; sô diu serra dehein scef gisihit in dem mere flieʒen, so vert siu dare und spreitet den zagil unt die federe, daʒ sî segelen mege ingegen dem sceffe fundgrub. 1, 28, 17; ain iegleich tier, daʒ ainen rauhen zagel hât, daʒ hât ein klain haupt und grôʒ kinpacken Megenberg 115, 15; die alstern habent kurz flügel und lang zägel 219, 21; (der salamander) hât einen langen knodochten zagel, der ist an dem end gar smal 277, 7; (der scorpion) hât an seim knodochten zagel ain scharf spitz, diu ist voller vergift 282, 10; eʒ wâren hie vor läut, die heten zägel, sam man list, und ander läut, die heten hörner 493, 28; lœse in (ihnen, den aalen) abe die hût bi dem haubte und ziuch die nider biʒ an den zagel buch von guter speise s. 7;
den gurren, die sie truogen hin.
den wârn die zagele under in
zesamene gevlohten,
daʒ sî niene mohten
ein ander entwîchen
Iwein 4942;
der man vârte sîn (nach dem hirsche) aver,
er erreichet im den zagel,
er sluoch in im halben abe
kaiserchron. 6875;
der fühse müeste minre sîn,
wæren die zegele guldîn
Freidank 138, 26;
an ieslîcher (baniere) eins grîfen zagel
Parz. 72, 21,
ûʒ eines pfâwen zagele
K. v. Würzburg turnei 410;
sein rennschilt, daran was des adlers haubt gen der erd gekert und der zagel uff d. städtechr. 4, 62, 28; streck deine hand aus und begreif iren (der schlange) zagel bibel von 1483 32ᵃ (2. Mos. 4, 4); und gieng (Simson) und fieng dreihundert füchs und band ir zegel zu den zegeln und band fackeln in die mitte 119ᵃ (Richter 15, 4); und sal (der frohnarbeiter zum getreideschneiden) morgens uszgeen, so die kuwe uszgeent, und sal uszblieven bisz die kuwe den zagil weder in kerent weisth. 1, 522 (zwischen Neckar, Main und Rhein, v. 1453); wissen, wo dem teufel der zagel hanget Bocc. 2, 110ᵇ; mit dem zagel wedeln, caudam movere Stieler 2601; pferdes zagel cauda equina ebenda;
greifft auch bisweilen selber zu
und nempt den zagel bey der kuh (ermahnung an die eltern)
B. Ringwaldt laut. wahrh. 291;
vgl. auch kälberzagel, katzenzagel, kuhzagel th. 5, 58. 303. 2584. säuzagel 8, 1939. in neueren schriftquellen ist das wort fast völlig schwanz gewichen (vgl. dieses 2 a α, th. 9, 2259), doch begegnet zagel ausnahmsweise noch: du scheinst mir auch die hasen zu greifen, wenn du ihnen salz auf den zagel streust Sudermann geschwister 233;
wie der hut an einem nagel,
hing der staat an Retzow-Kleist,
wie am schwarzwild hängt der zagel —
ach, nun ist der staat verwaist!
kladderadatsch vom 4. mai 1873;
sprichwörtlich in Preuszen: komm ich über den hund, so komm ich auch über den zagel Frischbier preusz. wörterb. 2, 485.
4)
übertragene bedeutung des wortes mannigfach, in älterer sprache mehr als in der neuern.
a)
auf das männliche glied, penis, virga virilis Schm. 2², 1089; preputium die voder haut an dem czagel, huͦt vornen am zagel, zageldecklin Dief. 456ᵃ; hermaphrodita zwiddorn, als ein mensch der zagel und fotzen hat 275ᶜ; nym ein ochssen zahell domith er kelber macht Pholsprundt Bündth-Ertznei hg. von Haeser u. Middeldorpf (1868) 38; da hett ainer ain rosz hie, das was kain pferd oder hengst und was auch kain stuͦtten. es hett kain zagel noch hoden und auch kain fuͦd d. städtechr. 25, 133, 16;
sein zagel ist im (dem kranken) ganz waich,
ich furcht es sei geschehen,
in im ist ganz kein leben
fastn. spr. 63, 1;
in der verkleinerungsform, mhd. zegellîn, zegelîn: ein kurz zegelin (bei einem pferde) d. städtechr. 25, 133, 18; der mohel ... nimpt (bei der beschneidung) das zägelin zwey oder drey mal ins maul S. Franck weltbuch (1567) 155ᵇ. als wohl hierher gehörige übernamen begegnen 1262 Ruͦdolfus dictus Zagel und 1203 Cuͦnradus Zegilli Socin mhd. namenbuch (1903) 450ᵇ.
b)
mit fasern oder büschelchen versehene pflanzentheile, z. b. wurzeln: der stain (corallus) hat ästel sam ain hirzhorn oder sam aines krautes wurzel mit vil zägeln Megenberg 439, 12; pflanzen führen von ihrer gestalt den namen katzenzagel, s. d. th. 5, 303; der grosze katzen zagel, katzenzahl, hippuris vulgaris, schachtelhalm Nemnich 3, 155; katzenzähl, melampyrum arvense, wachtelweizen 535; stinkender katzenzahl chara vulgaris, wasserschaftheu 2, 1000; centiramia katzenzal Dief. 112ᶜ.
c)
wipfel eines baumes, wipfelholz: man mag hauwen (holz) ... das der (lies die) zagil in den graben fallent weisth. 1, 524 (zwischen Neckar, Main und Rhein, von 1453); item ob sach were, das die hern von s. Arnual einen baum oder mee hauwen wolten, davon soll die zegel eines forsters sîn, und niemant anders; und soll der forster dieselben zegel in einem monde uszfuren 2, 22 (Saargegend, von 1417); in Hessen wird zâl 'hin und wieder' auch von der spitze des gefällten baumes gebraucht Vilmar 464. im forstwesen heiszt das niedergeschlagene unterholz, wenn es in eine lange reihe gelegt ist, kamm oder zahl Jacobsson 2, 343ᵃ. vgl. auch kamm 5 c, th. 5, sp. 106.
d)
zagel, zagelwerk, 'in den bergwerken, das unreine was vom zwitter nach dem pochen und fleihen gesammelt wird, retrimentum œris' Frisch 2, 463ᵃ.
e)
zagel, in den eisenhütten, 'heist das stück, oder der vierdte theil des gargemachten, und wieder durchs feuer angefrischten teuls, so vermittelst des setzeisens und groszen schmiedehammers vom abgewärmeten stück geschrotet worden' Minerophilus (1743) 604ᵃ. Jacobsson 4, 677ᵇ.
f)
bildlich zagel, das hinterste, letzte eines dinges, mhd. in mehrfacher anwendung, z. b. vom hintertheil des schiffes im gegensatz zu grans, schiffsschnabel:
ze dem schiffe gehœret maneger nagel:
er hieʒ den grans und den zagel
beslahen vil vaste
Moriz von Craon 670 Schröder;
auch der nachtrab eines heeres, die letzte schaar eines zuges:
si riten widere zesamene.
si wæren dâ ze dem zagele
alle gerne gewesin
ir nehein trûte genesin
Ruolantes liet 141, 34 Grimm,
auch von einem einzelnen:
er was den vînden gar ein hagel,
der erst zuo in, von in der zagel:
er was ein were den friunden sîn
unsinnlicher auch vom ende eines zustandes:
sus lônt iedoch diu ritterschaft:
ir zagel ist jâmerstricke haft
Parz. 177, 26;
allitterierend in der verbindung zopf und zagel, als zusammenfassendes bild für alles, was an jemand ist oder was er hat: were aber, daʒ he (ein schuldner) sturbe in dem gevencnisse geelingen oder von gotis gewalden oder wi daʒ were, so antwerte he zop unde zagel wider und ist ledic zu rechte Freiberger stadtrecht 5, 32, s. 66 Ermisch. in ähnlichem sinne auch noch in späteren quellen: kopff, strumpff, und zagel daran wagen (alles) Fischart binenk. 63ᵃ; die ihre ganze familie vom kopfe bis zum zagel in gefahr sieht Bode Tristr. Shandy 8, 9; zagel überhaupt für ende, verlauf bis zum schlusse: in Preuszen sprichwörtlich: die sache hat einen langen zagel, hat noch viel im gefolge, wird sich noch lange hinziehen Frischbier preusz. wörterbuch 2, 485.
5)
zagel in schachzagel, verderbt aus -zabel, vgl. schachzabel th. 8, 1967.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 23, Z. 70.

zageln, verb.

zageln, verb.,
den schwanz bewegen, schwänzeln, wedeln, mhd. zageln, zegeln in weifzageln und wendezageln, s. d.; in Preuszen zageln schwänzeln, wedeln, auch viel hin und her gehen oder laufen: er zagelt in einem weg Frischbier preusz. wörterb. 2, 485ᵇ; herum zageln, zwecklos sich umhertreiben, nachzageln, nachlaufen 486ᵃ. Frisch 2, 463ᵃ verzeichnet umgelautetes zägeln als fränkisch für: die füsze geschwind bewegen, mit der deutung ut timidi solent.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 27, Z. 9.

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„zageln“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zageln>.

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