Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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zag, adj.

zag, adj.,
feige, unentschlossen.
1)
das wort findet sich blosz im hochdeutschen, ohne dasz in den andern germanischen sprachen auch nur etwas entfernt entsprechendes vorhanden wäre: ahd. vorwiegend als schelte für einen im kampfe feigen, ignavi zagun, zagin, zagen, zagan Steinmeyer gloss. 1, 416, 33 f. (nach 2 reg. 3, 33 nequaquam ut mori solent ignavi, mortuus est Abner); pavidus zaga 2, 62, 7; vane du zago! 669, 30; inhabiles miliciȩ zagen 713, 25; sichtbar nur als schw. masc.; und wenn dazu wie am adjectiv steigerungsformen erscheinen: wâre ieht natûrlîches kuotes an hêrskefte unde gewalte, sô ne bechâmin nio dien zagôsten (numquam pessimis provenirent) Notker 1, 105, 24 Piper; sîd tie zagôsten ze ambahten choment (pessimos plerumque fungi dignitatibus) 31, so liegt dieselbe erscheinung wie beim subst. feind vor, vgl. th. 3, 1458. erst später entwickelt sich zag zu einem vollen, attributiv und prädicativ stehenden adjectiv (unten 4). unter solchen umständen dürfen wir wohl in dem worte eine in früher althochdeutscher zeit erfolgte fremde einführung sehen, und J. Grimm wird im rechte sein, wenn er rechtsalterth. 644 slavischen ursprung annimmt und russ. zajatz, böhm. zagic hase zur erklärung heranzieht; die ausgedehnte feindliche berührung von Slaven und Deutschen namentlich seit dem 7. jahrhundert hat die fremde bildung als schimpfwort für einen kriegerisch untüchtigen entstehen lassen und das niederdeutsche hat sie als tzage, sage aus hochdeutschem munde übernommen, vgl. Schiller-Lübben 4, 10ᵃ.
2)
in solcher bedeutung wird das wort vorwiegend noch im mhd. und darüber hinaus gebraucht: nû wiʒʒet ir wol daʒ eʒ ein schentlich wort ist, der zuo eim andern sprichet: dû bist ein rehter zage! Br. Berthold 1, 55, 14;
'wer tet daʒ beste (im streite)? daʒ soltu mir sagen.'
dô sprach der bote schiere: wir heten ninder einen zagen
Nib. 225, 4;
phi, ir zagen bœse, sprach der helt guot,
wolt ir slafende uns ermordert hân?
1785, 2;
ouch wâren si niuwet zagen,
die dâ mit im vâhten,
wande sî in brâhten
in vil angestlîche nôt
Iwein 5362;
sehse er ir ze tode sluoc:
den was vehtens genuoc.
die andern wâren alle zagen:
die fluhen âne jagen
Erec 4226;
sîn slege wâren grimmeclîch,
zagen slegen (den schlägen eines feiglings) ungelîch
9253;
ich gelâʒe nimmer mînen muot
umb sus getâniu mære:
ein zage ich danne wære
Meier Helmbrecht 590;
sie sûchten brucken noch den steg,
und vlohen rechte als die zagen
livländ. reimchron. 5157;
Ulrich Cuͦntzelman was haubtman desselben tages, der was ain rechter zag und begieng groʒʒ schand und laster, wann er wolt niemant zuͦ dem fechten lauʒʒen chomen und floch d. städtechr. 4, 88, 20; si wolden es im veld mitainander ausz tragen mit slegen oder mit stichen und welcher sein ab gieng wer ain zag 10, 375, 6;
und ist auch vil peszer, wir fliehen,
denn das wir würden zu tod erschlagen.
wer wil uns darumb haiszen zagen?
fastn. sp. 637, 33;
für ein warheit, so sag ich, das
der degen über drei gut spann
nit het. damit der teurlich man
wolt haben dasselb grosze schwein
gefangen in dem holz allein:
darbei ein ieder denken mag
ob sich der gleichen sach ein zag
het dürfen zu tun understan
Teuerdank 19, 78, s. 47 Goedeke;
das allen zagen vor jm grauszt
J. v. Schwartzenberg 153ᵃ (kummertrost);
vil ander zagen leyden spot
153ᵈ;
in diesem sinne und gebrauche ist das wort im 17. jahrh. verschollen, wird aber im 18. dichterisch erneuert:
fürwahr! ein zage wär ich und ein tropf
zu schelten, so ich dir in allem, was
nur dir behaget, wiche!
Bürger 145ᵇ (Ilias 1, 411);
vermeid ich, wie ein zage, das gefecht
174ᵃ (6, 567);
götter, fürwahr, wol bleib ich ein zag' auf immer und weichling
Voss Odyss. 21, 131.
3)
verschiebung des sinnes tritt bei dem im mhd. viel verwendeten worte ein, wenn es nicht sowohl für den feigling im kampfe, als für einen im allgemeinen scheuen, unentschlossenen gebraucht wird, besonders einen mit gaben zurückhaltenden, im gegensatz zu milde; auch hier noch mit betonung des schimpflichen:
lêre was er undertân,
und milte des er mohte hân,
genendic swâ er solde,
ein zage swâ er wolde,
den kinden ze mâʒe
ûf der wîsen strâʒe
Gregor. 1252;
nû rich uns beiden, got, diu leit, diu wir ân alle schulde tragen,
den biderben man an bœsem wîbe, unt mich an tugende lôsen argen zagen
minnes. 2, 233, 5 Hagen;
auch mit näherer bestimmung durch einen gen. unter andeutung des gegensatzes:
wan seit, der vierde sî ein degen
des lîbes, und ein arger zage des guotes
ebenda 231, III, 2;
und sonst im sinne eines kargen:
zwâre, habent sî wâr geseit,
sô bin ich gar ein ellens (ms. ellender) zage
Hartmann zweites büchlein 497;
bis ins 16. jahrhundert:
der tugent bistu schier ain zag
Schwartzenberg 157ᶜ (kummertrost);
der gen. durch präposition ersetzt:
und wer inn tugend ist ain zag,
kain ewig ehr erwerben mag
104ᵃ;
trinkerwitz hat die redensart eines zage sein geschaffen, für einen, der im wetttrinken nicht mitkommt, unterliegt: wir Teutschen haben die art, das keiner des andern zag im trinken gemacht wil sein Wickram die bücher Vinc. Obsopei von der kunst zu trinken (1537) ijᵃ;
darnach so gat es an die rieman,
und wil des andern zag sein nieman.
wie vil man trinkt, sicht yeder uff
und ziehent dann das schutzbrett uff
Murner schelmenzunft 46, 33, s. 63 Matthias;
mein tag kein zag
bein gsellen was, darbei ich sasz
Garg. 148 neudr.
4)
die ausbildung des wortes zu einem vollen adjectiv in attributiver und prädicativer anwendung vollzieht sich erst seit dem mhd.:
bî wîser lêre unwîsiu tât,
bi krefte ein zager muot
minnes. 2, 397, 8 Hagen;
und ist im frühen nhd. beschlossen: zag, forchtsam, pavi dus, ignavus, timidus, murcus, murcidus Dasyp.; zag, nit kriegbar, forchtsam, imbellis, ignavus, pavidus, fractus animo, murcus, murcidus Maaler 511ᵈ; zag pavidus Schottel 1446; (die Syrier) sind sonsten, wie wohl ein zag, jedoch ein heymlich dückisch volck S. Franck weltbuch (1567) 138ᵃ; der has ein zag, forchtsam und flüchtig thier, wirt gar sälten heimisch gemacht Forer thierb. (1583) 70ᵃ; (sie möchte) mich für einen zagen und feigen mann ausschreien Harsdörffer schauplatz lust- u- lehrreicher gesch. (1650) 190;
er ist ein schlechter zager mann
J. Ayrer 60ᵃ (313, 8 Keller);
wi lang muͦs noch di sele mein
viel ratschlagen in sorg und pein,
unt mein zags hertz sich engsten teglich?
Melissus ps. G 2ᵇ (sp. 13, 2);
besonders als zag sein, werden, einen zag machen: wenn einer dem andern verweisen will, das er zag ist, so spricht man zuͦ jm: du hast ein hasenherz Keisersberg häslein (1510) A a 2ᵃ; du must aber nicht so kleinmütig und zage sein, sondern denken, das Christus nahe ist und hilfft dir dein ubel tragen Luther 6, 529ᵇ (496ᵃ); denn es ist unmüglich, dasz böse gewissen nicht sollten feig und zag machen briefe 3, 142; Saul aber war noch zu Gilgal, und alles volck ward hinder jm zag 1 Sam. 13, 7; wie sie so zag weren, das sie nit streiten dürften Carbach Livius 40; sein seel ist zag, sein herz ist schwer Dief.-Wülcker 910ᵃ (von 1585);
am rechten seind sie worden zag,
drum henken sie mir heimlich nach
Hutten 5, 86 Münch;
nach lieb thut jhr viel singen,
macht manchen zag,
bey nacht und tag
Ambraser liederb. 181, 28;
aber auch dieser gebrauch erlischt seit dem späteren 17. jahrh. so vollständig, dasz Stieler und Steinbach zag überhaupt nicht mehr, sondern statt dessen nur die ableitung zaghaft aufführen, Adelung es als ein 'ehedem' gebrauchtes adverbium und adjectivum für zaghaft bezeichnet.
5)
Campe verzeichnet das wort wieder als zu seiner zeit gebraucht, wenn er auch zaghaft noch als 'gewöhnlicher' angibt. die neubelebung ist nicht ohne bedeutende verschiebung des sinnes vor sich gegangen, insofern die vorstellung des feigen und unkriegerischen geschwunden ist und der milderen des scheuen, ängstlichen, unentschlossenen, vor handeln und zugreifen bangen platz gemacht hat. es ist nur wort der gewählten und dichterischen sprache, indem zaghaft der gewöhnlichen rede zufällt, und wird gebraucht von menschen und lebewesen überhaupt: der grosze Haroun kennt die furcht kleiner, zager geister nicht Klinger 5, 204; mit wohlgefallen sah frau Hadwig auf ihn; es war nicht mehr der zage lehrer der grammatik Scheffel Ekkehard (1888) s. 172;
wie wird es doch das kleine zage häuflein
umzingeln und erdrücken
Tieck 2, 30;
als du ein kind noch, zart und zag,
das hilflos in der wiege lag
Wolff landsknecht von Cochem 314;
um rosenbüsche weiden zage rehe
quelle bei Campe;
'was strickst du fischer?'   netz dem fisch, dem zagen
Rückert ged. 124;
von körpertheilen und entsprechenden handlungen: er hielt ... mit zagen händen seinen flach gerollten hut auf dem schosze G. Keller sinnged. 270;
dasz eines mädchens zage hand mit blumen
als könig dieses landes dich bekröne!
Uhland ged. (1864) s. 183;
sie trat mit zagem schritte
wohl zum Mariabild
195;
adverbial:
als stünd mit seiner sense der tod leibhaft im streit,
so schauten ihn zag die feinde bei seiner blutarbeit
Scheffel Waltharilied v. 156;
da bin ich stets beim abendrot
allein im feld zu finden,
da brech' ich zag mein stücklein brot
und denk an meine sünden
G. Keller 9, 64;
in substantiver stellung, unterschieden von oben 2: ich glaube, die stunde meiner befreiung nahet, sagte er. wo hätte ich zager sonst den muth genommen, das haupt zu erheben und meinen herrn und könig zu erzürnen! C. F. Meyer d. heilige s. 194; sprichwörtlich: zage haben kein glück. ein zager legt nimmermehr ehr ein. es wird kein zager ein kaufherr Simrock sprichw. s. 652.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 20, Z. 71.

zag, m.

zag, m.,
handlung des zagens; ein im 16. jahrh. erscheinendes, später nicht mehr vorkommendes wort: wenn ich denn solchen zag und flucht des liechts spüre, wie kan ich mich fürchten für den blinden maulwörffen, die das liecht schewen? Luther 1, 425ᵃ (373ᵃ); et hoc cogitemus, wenn der zagh her khomen, ut ex corde dicere possimus; ego peccavi 27, 73, 19 Weim.; dasz ichs aus keinem zag gethan hab briefe 2, 139;
damit sie (die pfaffen in der beichte) denn die armen gwissen
nicht bawten, sondern mehr zerrissen,
das mancher auch vor groszem zag
also gieng hin beid, jar und tag,
das er beid, beicht und sacrament
veracht, auch seinen gott nit kent
B. Waldis Esop 4, 36, 9.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 23, Z. 52.

zage, f.

zage, f.,
eigenschaft eines zagen, furcht, scheu: die zage, zagheit, micropsychia, ignavia, pavor Maaler 511ᵈ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 23, Z. 68.

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Zitationshilfe
„zage“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zage>.

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