Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

zahnlos, adj.

zahnlos, adj.,
ohne zahn, zähne, mhd. zant-, zanlôs mhd. hdwb. 3, 1030, frühnhd. zantlos, zanlosz, edentatus, edentulus Dief. 194ᶜ, später zahnlos, edentulus Stieler 1179, Frisch 2, 464ᵃ, Adelung, daneben ahd. zanelôs Notker (vgl. Weigand-Hirt d. wb. 2 [1910], 1300), frühnhd. zane-, zenloisz, edentatus, czenelose, edentulus Dief. 194ᶜ, zänlos, dem die zän auszgefallen sind, oder der kein zän nit hat, edentulus Maaler 511ᶜ, später zähnelos, zähnlos, s. dies oben sp. 160.
1)
im sinne von zahn II, 1.
a)
von personen: alt leut fahen wider an zuͦ dallen, item zanlosz und kindischer geberd zu werden Franck sprichw. 2, 80ᵇ; wein ist der alten zanlosen leut milch Garg. 387 neudr.; wann ein altes zahnloses mütterle ... einen schwachen faden spinnt Abraham a S. Clara etw. f. alle 1, 499; wenn nur ein altes weib, ein zahnloses mütterchen hier im hause wäre Tieck schriften 5 (1828), 111 (blaub. IV, 2); im hintergrunde sasz an einem tisch ein altes weib, zahnlos und einäugig Hebbel 8, 263 Werner;
der ungewontin spîse hart
vil manic brûdir zanlôs wart
ich antwort, dasz die Tilg auch jung zahnlosz gebliben,
weil ihr ruh-lose zung ihr die zähn auszgetriben
Weckherlin 434, 97 Fischer;
da du mir unwillkommen des hains sternwarte besuchtest,
runzlich mich trafst, eisgrau und gebückt, triefäugig und zahnlos
Voss 2 (1802), 185;
osnabr. eene tantlose hille, mensch, der keine zähne im munde hat Strodtmann 241, brem. tänlose hille, schimpfwort auf ein zahnloses frauenzimmer brem. wb. 5, 20 (hille wird 2, 631 als weiblicher taufname erklärt). im bilde:
nur ein alt zahnloses fräulein
ward von meiner stimme wach,
nur das alte fräulein Echo
stöhnte meine klage nach
Uhland 1 (1898), 214.
von thieren: alte zanlose hund Guarinonius 359; Bauer dagegen knurrt und bellt, seitdem beide schriften erschienen sind, beständig wie ein alter zahnloser haushund, der fühlt, dasz er nicht beiszen kan W. Grimm an Dahlmann briefw. 1, 174;
o stirb nicht, wie ein zahnlos rosz,
das zappelt vor des henkers stich!
Droste 1, 393 Sckücking;
im lügenmärchen:
ein zanlôser stier
beiʒ ûf einen tac ze tôt
zwelf lewen rôt
lieders. 2, 388, 120 Laszberg.
von thieren, die überhaupt keine zähne bekommen: wir fingen theils mit netzen, theils mit angeln eine art barbeln ... zahnlose rochen G. Forster sämmtl. schr. (1843) 2, 275; die zahnlosen sind ... baumtiere Brehm 1, 24 Pechuel-Loesche.
b)
zahnloser mund: dennoch würde ich dem meinigen (einem säugling) ... die brust aus dem zahnlosen munde reiszen Bürger Macb. 2, 3; die alte frau mahlte indesz in einem fort mit ihrem zahnlosen munde Eichendorff 3, 50; der alte herr, den man gebunden, mit einem knebel in seinem zahnlosen munde neben dem bett gefunden hatte Storm 5 (1899), 172;
(Atropos) erwischt den faden, also hart
in jren dürr zanlosen mund,
dasz jr jn niemandt nemen kund
Scheit frölich heimfart J IVᵃ;
in freierer fügung:
(Knud zur alten Grima) dich soll'n wir fragen, du zahnloser mund?
Fouqué held d. nordens 3, 51;
bei thieren: ... Bergmanndel (ein hund) ... schnappte nach der streichelnden hand mit seinem zahnlosen munde Holtei erzähl. schr. 28, 81; der meias (affe) ... öffnete, wenn er unzufrieden war, seinen fast zahnlosen mund Brehm 1, 98 Pechuel-Loesche. zahnloses maul, zahnloser rachen: das kleine zahnlose maul, unter der sehr zugespitzten schnauze (bei den stören) Oken 6, 65; sie (eine dogge) ... öffnete den zahnlosen rachen zu einem jammergeheul Ebner-Eschenbach 4, 221. zahnloser kiefer: aber dem ungeacht wollt ich ihm (einem säugling) ... meine brust aus seinen zahnlosen kiefern herausreiszen H. L. Wagner Macb. 1, 15;
so ist jeglicher mund geschickt die speise zu fassen,
welche dem körper gebührt, es sei nun schwächlich
und zahnlos
oder mächtig der kiefer gezahnt
Göthe 3, 89 Weim.
ähnliche verbindungen: bei dem reh finden wir einen leichten zahnlosen bügel, um grashalme ... abzurupfen Göthe II 7, 197, 11 Weim.; ein schädel im höchsten grade zahnlos Sömmerring 2, LXXXIII; die Ludmer ... lachte, dasz das zahnlose kinn wackelte Gutzkow ritter v. g. 2, 382.
c)
vom sprechen mit zahnlosem munde:
zitternd wanket, wie zum grabe,
schwach ein silbergreis am stabe, ...
zahnloses stottern
die kniee schlottern
Nestroy 6, 41.
bildlich: die zahnlose zeit Treuer 1, 74. vgl. zahn II, 1, i, d.
2)
im sinne von zahn II, 2.
a)
in bezug auf zahnähnliche theile bei thieren: man kann (bei den fluszmuscheln) drey abtheilungen unterscheiden, zahnlose, schmalgezähnte und dickgezähnte Oken 5, 317.
b)
in bezug auf zahnähnliche theile bei pflanzen: die unterlippe ist (beim österreichischen ginster) ... zahnlos Schlechtendal flora 23, 106 Hallier.
3)
in neutraler substantivischer anwendung, bildlich: ich will hoffen, dasz man dieser geschichte das zahnlose ansehen wird Hippel kreuz- und querzüge 1, 31.
4)
die zahnlose heiszt in der gegend von Leipzig der schwarze andorn, ballota nigra, der auch altes weib genannt wird Pritzel-Jessen 54ᵇ. dazu zahnlosenkraut, n., herba ballotae Holfert arzneimittelnamen (1902) 225ᵇ (vgl. oben 4). zahnlosigkeit, f.: die auffallendsten eigenheiten des kopfgerüstes sind vorzüglich: die völlige zahnlosigkeit der kiefer ... die enorme grösze der augenhöhlen Naumann vögel 1, 37.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1925), Bd. XV (1956), Sp. 172, Z. 21.

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Zitationshilfe
„zahnlos“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zahnlos>.

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