Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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zahm, adj.

zahm, adj.,
mansuetus.
I.
formales. das wort ist gemeingermanisch und lautet ahd. mhd. zam; as. (bezeugt táma nótilu, subiugales beluas Werdener Prudentiusglossen 333 s. Wadstein kl. as. sprachdenkmäler 95, 27) mnd. tam, nnd. tam(m) brem. wb. 5, 16, Dähnert 484ᵃ, Mi 91ᵇ, Danneil 220ᵇ und tām brem. wb. 5, 16, Woeste 267, Bauer-Collitz 103ᵃ, Schambach 224; mnl. nnl. tam; afries. tam, *tom, nfries. tam, tom, tōm Siebs in Pauls grdrisz. d. germ. philol. ² 1, 1180; ags. tam, engl. tame; anord. tamr, norw. dän. schwed. tam. es steht in enger etymologischer beziehung zu lat. domare, griech. δαμᾶν, wie schon Adelung erkannt hat, und skr. damāy bändigen, bezwingen Kluge etym. wb. ⁷ 501ᵇ. in den gleichen zusammenhang gehört wohl ziemen und zimmer mit lat. domus, griech. δόμος, haus, δέμειν, bauen, denen dasselbe thema mit der bedeutung 'binden, fügen' zugrunde zu liegen scheint Weigand-Hirth deutsches wb. ⁵ 2, 1300, Falk-Torp 2, 1244. neben zam begegnet in älterer sprache eine gleichbedeutende -ja bildung ahd. zami, bezeugt: zami ros, caballus domitus Graff 5, 663, frühnhd. zäm Schmeller² 2, 1120: das sechst capitel sagt, wie man die valcken beraitten und zu der paisz zäm machen sol Mynsinger 2; da die löwen tzuͦ den heiligen kamen, da wurden sy zäm und güttig Heiligenleben sommerteil LIIᵃ; aber darumb daʒ er das leben der menschen und iere sitten erzögen möchte, hat er in syn fabeln redend fogel, böm, wilde und zäme tier ... gezogen Stainhoewel Esop 78 Österley; wie dann unvernünftige tyer noch heut ains tails durch die menschen regiert und zaͤm gemacht werden Berthold v. Chiemsee t. theol. 349;
zu beederseits zween felsen stehn,
das meer ist zäm und still darunder
Spreng Aeneis 6ᵃ.
davon ist wahrscheinlich zu trennen mhd. zæme, geziemend, passend, angenehm Lexer mhd. hdwb. 3, 1026, neben dem häufiger in gleicher anwendung gezæme erscheint 1, 1000, ahd. gazâmi, decens, honestus Graff 5, 664. dies zæme, dessen bedeutung sich bei zahm nur vereinzelt zeigt (s. unten II, 3), könnte frühnhd. in stellen gleich den folgenden noch nachklingen: fürbasz ist zuͦ mercken welich person und menschen der liebe genosz und zäme seind Hartlieb das buch Ovidij von der liebe 5ᵇ; seyt du jr nit zäm und genosz bist 16ᵇ. vgl. dazu übrigens auch unten II, 2. wie gezæme neben zæme so steht mhd. neben zam ein gleichbedeutendes gezam, das auch im sinne von gezæme gebraucht wird Lexer mhd. hdwb. 1, 999. schlesisch gezāme, ruhig, anständig, gehört zum letzteren Weinhold schles. wb. 107ᵃ. die schreibung zam bieten Dasypodius, Maaler 512ᵃ und noch Stieler 2594; die form mit h, worin die neuhochdeutsche dehnung des vocals erkennbar wird, Schottel 1446, Rädlein 1, 1081ᵇ und die späteren lexikographen. vereinzelt begegnet frühnhd. die gleichfalls länge des vocals bezeugende schreibung zaam, so Nigrinus von zäuberern 551 (die stelle s. unter II 1, a, γ). mundartlich, namentlich oberdeutsch, ist die alte kürze natürlich noch gewahrt Schmeller ² 2, 1120, Martin-Lienhart wb. d. els. mundarten 2, 903ᵃ, aber auch oberdeutsch nicht durchweg Stalder 2, 462, Martin-Lienhart a. a. o. frühnhd. wird die kürze des vocals wohl durch verdopplung des m kenntlich, die in flectierter form eine wirkliche veränderung des silbenschlusses bezeichnen kann: wie ein ander zammer hund das halff verhüten Wickram 2, 267, 4. frühnhd. verdunklung des vocals zu au kann mit einer anlehnung an zaum zusammenhängen: hie schafft er nu am sechsten tag allerley thier, so da leben auff erden, wild und zaum, und auch den menschen Luther 24, 48, 17 Weim. (die form stammt kaum von L.; vgl. die anm.). gelegentlich erscheint hinter dem m in der gleichen zeit ein unorganisches b:
den hirschen sie bald machten zamb
Spreng Aeneis 142ᵇ.
Steinbach verzeichnet als comparativ zähmer, als superlativ am zähmsten 2, 1068, und auch sonst ist umlaut in der steigerung aus älterer sprache bezeugt:
ein camelthier bald zemer würd,
geht langsam, tregt ein schwere pürd
H. Sachs 7, 450, 29 Keller.
umlautlose steigerungsformen, die Adelung heutigem gebrauch gemäsz allein anführt, scheinen schon früher zu überwiegen: es traff sich auch gleich: dasz ... drey zahmere thiere drey wildere ... überwanden Lohenstein Armin. 2, 43ᵇ; auch mein zahmestes schaf freuet sich mehr über seines gleichen, als über mich Geszner 1, 182;
die zahmeren thiere
wählten das grünende feld und blumichte wiesen
Zachariae 8, 54.
II.
bedeutung und gebrauch. zahm ist der gegensatz zu wild. so erscheint es fast im ganzen umkreise seines gebrauchs.
1)
die allgemeine bedeutung ist demgemäsz: der wildheit entzogen oder ihrer ermangelnd und gesitteter menschlicher art sich fügend, zu ihr passend.
a)
als eigentlicher gebrauch erscheint noch heute, wohl der bedeutungsentwicklung entsprechend, die beziehung auf thiere.
α)
in allgemeiner anwendung, zame thier, mansuetae bestiae, animantia cicurata, animalia, armenta, pecudes et pecora Maaler 512ᵃ, zame tiere, bestiae condocefactae, placidae, mansuetae, animalia cicurata Stieler 2594, zahme thiere Adelung: sînu thîn cuning quam thir manduuâri, sizzenti ubar folon zamerâ esilinnâ Tatian 116, 3; eyn zam fogel, als eyn hun, eyn gans Diefenbach 26ᵇ; tame vogel also ghense nov. gl. 26ᵇ; capo, zamer han 73ᵇ; zame rinder, nit stössig, mit denen guͦt ist umb zegon, moribus placidis boves Maaler 512ᵃ; kauff zahme thier (kalenderregel) Thurneyszer magna alch. 113; in eine pasteterei oder garkuchen, darin man nach gewonheit des landes (Frankreich) allerley viandes feil findet, neben dem fleisch vom zahmen viech, so auch fischen, wildpret etc., kaphanen, hüner, gänsz, schneppen und des gevögels unendlich gebraten, gesotten oder gebacken Kirchhof wendunm. 2, 405; vieh ... sind zahme thiere, an rindern, schafen ziegen und dergleichen Gueintz rechtschreibung 149; pigeon franc, zahme haustaube Duez nomencl. 28; zamer löwe, leo exarmatus, edomitus Stieler 2594; zame vögel, aves cohortales, vernaculae, villares ebenda; das tier ist ganz zam, bestia haec ad mansuetudinem domita est ebenda; zahme gänse, anseres cicures Steinbach 2, 1068; ein zahmer hirsch, cervus domitus ebenda; vor begierde bey ihnen zu seyn, habe ich ... mir einen luftwagen ersonnen, zu dessen wirklichkeit mir weiter nichts als ein halbes dutzend zahmer adler fehlen Gleim briefw. 1, 217 Körte; die rasende fröhlichkeit, mit der diese unsinnigen ... ihre mit zahmen schlangen umwundenen thyrsos schüttelten Wieland 1, 7; sie hatten nebst diesen noch zahme hirsche Schmidt gesch. d. Deutschen 1, 356; herr v. Bünau ... im letzten kriege freiwilliger zu rosz, dem die genaue kenntnisz der nutzbaren zahmen thiere sehr angelegen zu seyn scheint Göthe IV 28, 31; die Samierinn ... liebt nichts so sehr, als zahme singvögel A. G. Meissner Alcib. 1, 122; die zahmen thiere, welche wir in Europa haben, sind gleichfalls auf Madera anzutreffen Forster 1, 45; als mir das unglück begegnete, dasz ich drey zahme türkische gänse schosz Kotzebue dram. w. 2, 40 (menschenh. u. r. 2, 6); bei uns drauszen, da haben wir gar viel zahmes vieh Beck kamäleon 64; Klelie kam jetzt mit ihrem zahmen marder herein Arnim 9, 156; das zahme rösslein ward gesattelt Arndt 1, 15; später wurde besonders zahmes vieh gegenstand der plünderung Hegel 9, 235; als ich ... aus der hütte trat, sprang mir das zahme reh, dessen ich früher gedachte, entgegen E. Th. A. Hoffmann 6, 52; bald spielen sie mit zahmen rehen 7, 236; der zahme schwan, der auf den namen Blanche hörte, plätscherte auf dem see daher 10, 146; diese wilden ochsen werden ... gezähmt, und damit die zahmen kühe belegt Ritter erdkunde 2, 179; dort (im lustgarten) hatten sich in den laubgängen und künstlich verschlungenen wegen die hochzeitsgäste ergangen, oder an den zahmen hirschen und rehen im gehege ... sich ergötzt Hauff 1, 295; da fuhr ein zahmer storch, der dort übernachtet, mit seinem langen schnabel unter den flügeln hervor Eichendorff 3, 300; dann begannen die gymnischen spiele der jugend (wilder ziegen), welchen nur in dem niedern zustande gemeiner zahmer ziegen die herabwürdigende bezeichnung von bocksprüngen zukommen kann Immermann 2, 72; sie besasz einen zahmen papagei 5, 107; nur aus eigner kunde konnte er (Pytheas) erzählen von dem norden, arm an zahmen thierarten und gewächsen, wo man hirse iszt und wilde kräuter Dahlmann gesch. v. Dänemark 1, 5; die bedeutung eines edlen thiers liegt in seiner selbstständigkeit, seiner kraft ...; das ist es ..., was wir auch an dem zahmen thiere in seinem verhältnisz zum menschen ... entdecken Holtei erzähl. schr. 2, 58; an seiner hand durfte sie ... bis an's pfarrhaus gehen und dort mit seinen zahmen kaninchen spielen 6, 98; ein zahmes reh erschien neugierig unter der thür Keller 1, 179; solche reiterzüge pflegten zuweilen einen zahmen hirsch zu verfolgen, der abgerichtet war, vor jägern und hunden her zu fliehen und sich zuletzt einfangen zu lassen 6, 161; P. Salvatore, beständig von zahmen canarienvögeln umflogen Justi Winckelmann 2, ¹ 101; das gute wesen (eine kröte) ist fast zahm und friszt beinahe aus der hand Seidel Leberecht Hühnchen 246;
in eines malers werkstatt kam
ein wolff gegangen, der war zam,
und wie ein mensch, mit seinem mund
gewehnt war, das er reden kund
Alberus fab. 58 (nr. 13, 2) neudr.;
löw' und tiger gehn in zahmer heerde
Herder 12, 301;
diese gelben zahmen dinger (kanarienvögel)
seh ich dich im käfig füttern
Heine 2, 26.
zu zahm: welches pferd reitet mein sohn? ... den falben, die andern sind ihm zu zahm Iffland 5, 28. gesteigert: dort gingen zahmere thiere, stiere mit schweren nacken, rinder und schafe; sie lieszen die fette weide, kamen zu Adam herab maler Müller 1, 20; wissen sie nicht, dasz der zahmste löwe, wenn er blut sieht, wieder seine alte, grimmige löwennatur zeigt? Beer 734.
β)
ein thier zahm machen, domare, mansuefacere Frisch 2, 463ᵇ, Adelung, zam machen, mansuefacere, cicurare, domare Dasypodius, feritatem detrahere Stieler 2594: so werden sie (schlangen) so baldt unschedlich und zam gemacht Nigrinus von zäuberern 112; einen leuen zahm machen, leonem mansuefacere Steinbach 2, 1068; kein Orpheus macht hier tieger und löwen zahm Herder 12, 27; in Asien hatte sich ein betrüger, Alexander mit namen, hervorgethan, der durch seine ränke, und eine zahm gemachte schlange, die er bey sich führte, ganz Klein Asien so sehr betäubte, dasz er durchgehends für einen propheten und wundermann ... gehalten wurde Schmidt gesch. d. Deutschen 1, 96; auf diesen bäumen hielten sich allerley tauben, vornehmlich jene art, welche auf den freundschaftlichen eilanden häufig gefangen und zahm gemacht zu werden pflegt Forster 2, 227; nun denk ich, ob man eine biene nicht könne zahm machen auch wie eine katze Bettina frühlingskranz 222; dergleichen auch die spatzen und andere vögel herbeygezogen und zahm gemacht, dasz sie den bohnen viel abbruch gethan und ich jedoch nicht mehr in die bohnenstauden schieszen können, von wegen der kleinen insasz Keller 1, 53;
das man macht zam eyn yedes thier
wie hert, wie wild, wie grymm das ist
Brant narrensch. s. 22, 32;
ein gedicht von fligend drachen
welche Medea zam kont machen
Fischart glückh. schiff 5, 74 neudr.;
so schreibt sie oft auf täfelein.
und heftet sie dann an die geweihe
der hirsche, die sie zahm gemacht
Brentano 2, 141.
in bildern: die frage für die königin (Elisabeth) sei, ob sie den löwen (Philipp II. von Spanien) zahm zu machen hoffe, oder ob sie ihn binden wolle Ranke 14, 291;
jetz will (ich, der Papst) selbs bsehen ihren ort
mag mir die bestien (Germania) frey werden
ich schlepp sie fort auff unser erden
beschliesz sie in und machs wol zam
drum müh'n sie (die autoren) sich,
die bösen drachen
durch manchen brief
und autorkniff
recht zahm zu machen
Blumauer gedichte 77;
denn so hat sie (Lili) aus des waldes nacht
einen bären, ungeleckt und ungezogen,
unter ihren beschlusz herein betrogen,
unter die zahme compagnie gebracht,
und mit den andern zahm gemacht (den dichter)
Göthe 2, 88, 40.
mit unpersönlichem subject:
es dienet der vernunft jedwede creatur ...
sie macht den leuen zahm, und scherzt mit crocodilen
Weichmann poesie d. Nieders. 1, 114;
aber nichts vermocht' er (der greif), wüthig
machte ihn die löwin zahm
Tieck 8, 117;
sprichwörtlich: hunger, sagt man, macht zahm. das mag wohl eine bemerkung aus irgend einer menagerie seyn: aber auf meine unterthanen scheint sie nicht zu passen Kretschmann 5, 88. vgl. unten b, β. mit dativ der person: erstlich muszte ich ihm einen weiszen beern zahm machen, welches mich sehr hart ankommen Stranitzky reysz-beschreibung 8, 5 neudr.
γ)
zahm werden, mansuefieri Frisch 2, 463ᵇ, adsuescere ad homines Steinbach 2, 1068, zam werden, mansuescere Dasypodius, Stieler 2594: welche ... schlangen und ottern zwingen, ... dasz sie jhr gifft von sich legen und zaam werden Nigrinus von zäuberern 551; es (das vögelchen) wurde bald zahm, flog ihm auf den ausgestreckten zeigefinger Ch. v. Schmid 1, 20;
der rinder schar, der schaffe grosze herden,
der püsche vieh, das nimmer zahm wil werden
Opitz bei Fischer-Tümpel evang. kirchenlied 1, 245;
die panther wurden zahm,
wenn ihres gleichen nur für ihr gesichte kam
Hoffmannswaldau u. a. auserles. ged. 1, 244.
mit dativ der person: dein vogel ist mir eben so zahm geworden Bettine die Günderode 1, 111; ähnlich mhd.:
er vant dâ wilder rosse vil,
diu wurden sîner hende zam
δ)
zahm und wild in solcher anwendung einander gegenübergestellt: aper ze latein haiʒt ze däutsch eber, und ist zwairlai, wilder und zamer Megenberg 121, 9; capra haiʒt ain gaiʒ und ist zwairlai, zam und wild 127, 24; wenne ain zameu katz wild well werden, so sneid ir diu oren ab, sô vallent ir die regentropfen in daʒ haupt und mag niht ze wald beleiben, dar umb wirt si wider zam 152, 1; alle deerte beyde wilde unde tham quelle bei Schiller-Lübben 4, 509ᵃ; denn er (gott) hat mir gegeben gewisse erkentnis alles dinges, das ich weis, ... wie die stern stehen, die art der zamen und wilden thiere weish. Sal. 7, 20; wie man eyn wild bösze thier mit ketten und banden fasset, ... des doch eyn zam korre thier nicht bedarff Luther 11, 251, 10 Weim.; got gibt ... thiere, zam und wild, zur speise der menschen Agricola sprichw. A VIIᵇ; dasz viel tausend menschen (des zahmen und wilden viehes ... zu geschweigen) ... jämmerlich ersoffen Rist Parn. 612; grosze potentaten und herren ... zahmem und wildem gefieder vielmahls groszen abbruch thun Aitinger jagd- u. weidbüchl. A Iᵇ; andere thier stellen sich biszweilen wild, diese affen aber seyn gantz zahm mediz. maulaffe 977; die wunderbare vorsorge des allerweisesten werck-meisters (gottes), welcher diesen wilden thieren vor denen zahmen (als bey welchen man es nicht findet) eine solche verwahrung ihres leibes mitgetheilet, vermittelst welcher sie sich winters-zeit conserviren können Göchhausen notabilia venat. 125; kräftiger aber sprechen ... für die einheit des menschengeschlechts die vielen mittelstufen der hautfarbe und des schädelbaues, ... die analogie der abartung in anderen wilden und zahmen thierclassen Humboldt kosm. 1, 379; er wuszte, dasz der oberste chef aller justizcollegien ... sich in studien über die temperamente, instincte und angewöhnungen wilder und zahmer bestien einen namen erworben hatte Gutzkow ritter vom geiste 1, 129;
als under zamen schâfen
ein wilder wolf grisgrammet
Konrad v. Würzburg Troj. 12 618;
manch fruchtbar baum auch uber das
bschuff ich auf erden zu einr zyr,
allerley wild und zame thier
unnd auch die vögel in dem lufft
H. Sachs 1, 20, 13 Keller
all specerey und die wein-reben
hat gott so überflüssig geben,
der-gleichen auch allerley thier,
wild und zam
178, 16;
also ward in ein zahmes lamb
ein wilder wolff verkehret
Ringwalt ev. H 2ᵃ;
die hüner wildt und zam vermehren
sich dergleichen
christl. warn. M 7ᵇ;
die gänse sind nicht einerley ...
ein theil sind wild, ein theil sind zahm
W. Spangenberg ausgew. dichtgen. 118 (ganskönig 6), 179 Martin;
das wild' und zame vieh mag nicht dem tod' entspringen
Opitz teutsche poemata 64, 57 neudr.;
wer nähret wild und zahmes vieh ...?
Spee trutzn. 106, 45 Balke;
drumb lobet ihn (gott), du zahmes vieh,
du wilde zucht beineben
120, 217;
löw' und wolf und tiger,
wild und zahmes vieh
Schubart ged. 2, 335.
vgl. auch:
zuvor in seinen sold er nahm
'ne hunderasse, die sonst zahm,
jetzt aber völlig war verwildet,
recht zu bluthunden ausgebildet
Rückert 1, 111.
aber das wild kann auch zahm genannt werden, wenn es zutraulich ist: allda wǎren geblümt wisen und matten und bechhe yetz fliessend von milch und danne von win ... zam wild gebrett allenthalben in den wälden lychter gefechnüsz Niclas von Wyle 234, 21; daher war das wild in seinem park auf eine merkwürdige weise zahm Steffens was ich erlebte 6, 230.
ε)
mit sinnverwandten wörtern verbunden: de elevant is gar eyn geduldich dere unde wert heymeliker unde tammer dan keyn ander dere quelle bei Schiller-Lübben 4, 509ᵃ; ein zam korre thier Luther 11, 251, 10 Weim. (die stelle s. oben unter δ); doch wenn er (der affe) heimisch und zahm gemacht worden, so erkennt er seinen herrn, ob derselbige gleich über lange jahr wiederumb zu jhm kompt Gesner-Forer thierb. (1669) 5ᵃ; wie groses gefallen die natur oder vil mehr gott jr schöpffer an der hauszhaltung trage, sihet man daran, das er ... sonderes zames, geheimes und häuszliches viech hat gegeben Fischart ehz. 252, 17 Hauffen; ich gesteh es, das mich keine curiosität so sehr afficirt, als wenn ich solche thiere zahm und gewohnet sehe Weise erzn. 167 neudr.; als die hunde nahrung empfingen, fügten sie ihr nicht das geringste leid zu, sondern wurden ganz vertraulich und zahm Bürger 267;
die dohl wird zahm und heimisch gmacht
und laszt von wilder art
d. kn. wunderh. 4, 279 Erk (17. jh.).
ζ)
näher bestimmt durch so und einen satz mit dasz: wie wol es (ein thier) von natur etwas wild, wirt es dennocht so zam, dasz es dem menschen in den buͦsen ... laufft Gesner-Forer thierb. (1563) 13; mit der löwin (welche so zahm ward, dasz sie niemandt kein leyd thet) buch d. l. 7ᵃ; ein gefangener machte einst in seinem einsamen kerker eine spinne so zahm, dasz sie seine stimme kannte, und allemal kam, wenn er sie lockte und etwas für sie hatte Hebel 2, 66, 28; sie (waldvögel) waren so zahm, dasz sie kaum platz machten vor den füszen der pilgerinnen und sich der reihe nach auf das geländer und das fenster setzten Keller 5, 161. mit einem vergleich:
hier faulet Mimulus, ein affe.
und leider! leider! welch ein affe!
so zahm als in der welt kein affe
Lessing 1, 15, 56.
η)
in vergleichen: he (der drache) volgede der juncvrouwen also en tham hunt quelle bei Schiller-Lübben 4, 509ᵃ; als Roms bischöffe ... fürsten und könige an ihrem seile führten wie zahmes vieh Zimmermann über d. einsamk. 1, 131; männer such ich, die dem tod ins gesicht sehen, und die gefahr wie eine zahme schlange um sich spielen lassen Schiller 2, 120 (räuber sch. 3, 2); wie ein zahmer affe sollst du zum geheul der verdammten tanzen 3, 452 (kab. 4, 3); da that es uns so wohl, dasz ... der schöne frühling uns so stillhielt, wie ein zahmer vogel Hölderlin 2, 144, 15.
der stund vor im als ein zam hund
Maximilian Teuerd. 39, 46;
es gieng und kam wie täubchen zahm
Arndt werke 3, 299.
θ)
in bildern: ein königscher, ein unterthan, ist ein zahmes thier, das aus der hand friszt Hippel lebensl. 2, 171;
o du armseligs römischs reich,
wem wirst du doch zletzt werden gleich?
o edler adler, wie so zahm?
schwing dich in dhöh, bis nit so lahm
Opel-Cohn 30 j. kr. 51, 3.
vgl. auch oben β.
ι)
zahme bienen, 'welche von menschen gepfleget und gewartet werden, im gegensatze der wilden' Adelung: wir wollen die ersten zame, und diese andere wilde bienen nennen Fischart binenk. 262ᵇ.
κ)
zahme fische, 'welche in teichen gepfleget werden, zum unterschiede von den wilden, daher zahme fischerey' Adelung: je nachdem die fischerei die occupation der in natürlichen gewässern in freiheit sich aufhaltenden wassertiere bezweckt, oder jene in künstlich gebildeten ... gewässern, ... unterscheidet man: wilde oder natürliche und zahme oder künstliche fischerei Schwappach forstpolitik, jagd- u. fischereipol. 332.
λ)
zahmes fleisch, fleisch von zahmen thieren: dasz ist czahm fleisch, dasz bringt seinem vatter Jacob czu essen, Esau bringt wild fleisch Luther 9, 397, 31 Weim.; auch nd. so tamm fleesch Dähnert 484ᵃ. vgl. die folgende mhd. stelle, wo aber wie sicher in andern unter i, β angeführten stellen substantivischer gebrauch vorliegen kann:
nu het der wirt daʒ gebotn,
daʒ was gebrâten und gesotn
vil niwer spîse reine,
vische und vleisch gemeine,
beidiu daʒ wilde und ouch daʒ zam
Wolfram Willeh. 133, 15
und zur entwicklung des gebrauchs: und ich schätze, ... dasz sie obengedachte zahme schnabelweid (schweine, hämmel u. dgl.) und das kleine viehe (hühner, gänse, enten) entweder in oder um die dörfer hinweg gefüchselt oder hin und wieder von den heerden hinweg gewölfelt haben Simpl. 2, 43, 1 Keller. scherzhaft:
die jägrin sprach: 'herr bräutigam,
solch wildpret (ein gebratener kater) ist mir gar zu zahm,
es widerstrebt mir dies geschlecht,
ich bleib mamsell und esz was recht'
d. kn. wunderhorn 1, 102 Erk.
b)
auf personen bezogen, gesittet, friedsam, folgsam Adelung, Campe, maszvoll an sich haltend, gleichfalls schon seit alter zeit bezeugt, gelegentlich mit tadelndem beisinn.
α)
in allgemeiner anwendung: docebit mansuetos vias suas. er lêret die zámen sîne uuéga. die sîn ioh tragen uuellen Notker ps. 24, 9; ich rede nicht von zahmen officieren, die niemahls einen tropffen blut von ihrem feinde gesehen haben Weise kl. leute 305; ich will es also nur gegen seine währmänner erinert haben, und herr Klotz hat sich von dem tadel mehr nicht anzunehmen, als davon auf rechnung des zahmen nachschreibers fallen kann Lessing 10, 400; und werden sehr zahme mitglieder der bürgerlichen gesellschaft Bode Thom. Jones 4, 434; ach, die zahmen menschen, ich verstehe ihren geist nicht Bettine tageb. 31; wir sind ... in früheren jahrhunderten nicht so zahm gewesen Arndt werke 1, 165; der meister Bacci war im grunde genommen ein gar zahmes menschenkind Gaudy 2, 104; ist ihm sein Ruy Blas doch eine gar so zahme haut, dasz derselbe sechs monate lang auf den betrieb der königin immer höher steigt und noch nicht einmal gewagt hat, ihr dafür in's gesicht zu sehen! Gutzkow 11, 359; ich war lange genug zahm, aber es kommt nichts heraus dabei Bauernfeld 5, 257; doch wuszte er nichts anderes, als dasz Marti seinem vater schaden zugefügt und dasz man in dessen hause ebenso feindlich gesinnt sei und es fiel ihm daher nicht schwer, weder den Marti noch seine tochter anzusehen und seinerseits auch einen angehenden, doch ziemlich zahmen feind vorzustellen Keller 4, 93;
hern uͦnt fụrsten han
sich ym (gott) zuͦgetạn,
dàs gerechnet — ein
si auch mugen sein
ain volk gottes zâm,
dæm dînt' Abraham
Melissus ps. 182, 10 neudr.;
der wilde Parth' ist zahm
Lohenstein Agripp. 2, 30;
die frauen, die man erst erschreckt,
sind liebenswürdig zahm
Göthe 1, 135 Weim.;
mit dieser welt ist's keiner wege richtig;
vergebens bist du brav, vergebens tüchtig,
sie will uns zahm, sie will sogar uns nichtig!
3, 233;
ihr guten dichter ihr,
seid nur in zeiten zahm!
3, 258;
mir ist's unmöglich,
wenn feinde höhnisch jauchzen, zahm zu sein
9, 173, 45;
Valentin fällt (im zweikampf) o weh!
Mephistopheles. nun ist der lümmel zahm!
14, 188;
er thut,
als bräch' er los; er tobt, als wollt' er folgen,
kommt aber nicht! o geht mir, zahmer mensch!
Shakespeare sommernachtstr. 3, 2;
sei zahm, das rath' ich dir, stecks messer weg
Tieck 2, 193.
zu zahm: ist auch unser candidat für diesen posten vielleicht ein wenig zu zahm, so finden sich die erforderlichen qualitäten nach und nach Göthe 42², 29, 28. gesteigert: das volk hier in den bergen ist nicht eben zahmer als das thracische (von dem Orpheus zerrissen wurde) Fouqué altsächs. bilders. 2, 665.
β)
zahm machen, mitem reddere et mansuetum aliquem Frisch 2, 463ᵇ, zam machen, barbariem comprimere Stieler 2594, auch schon so mhd. (die heiden zam machen quelle bei Lexer mhd. hdwb. 3, 1025): disen handel hat er (der papst) so lang und so beharrlich getriben, bis er sie (die kaiser) zum letzten zam gemacht, und den eid, on alle widerrede, zuͦ bewilligen gedemütiget hat Sleidanus reden 190; macht dise wilde leute zam Moscherosch Phil. 2, 790; wenn der heulende genius, der dich ehemals regierte, um sie geschwebt wäre, hättest du sie zahm machen können, und noch eine bessere beute an ihr gemacht, als alles dein gold in den galanteriebuden zu Paris nicht erkaufen kann Laroche frl. v. Sternheim 2, 202; sie wird ihn schon zahm machen maler Müller 1, 320; wenn sie mir liebkost weis ich voraus, sie will mich zahm machen Göthe 39, 154, 13; aber der falkenier that's nicht, um den fürsten auf tauben und hasen zu werfen, sondern um ihn immer wach und zahm zugleich zu machen J. Paul 71, 10, 41; wir wollen sie (eine frau) zahm machen Holtei erz. schr. 14, 52; einen zahm machen, durch strafe kleinlaut machen Martin-Lienhart els. wb. 2, 903ᵇ;
den ich mir zum kriegsmann stählte,
der die feinde machte zahm
Rückert 1, 168;
die freier standen ganz von ferne
in blanken röcken lobesam.
'frau mutter, ach, so sprecht ein wörtchen
und macht das liebe kindchen zahm!'
Storm 8, 291.
mit unpersönlichem subject: die zeit macht ihn zahm, longior dies eum mitigat Steinbach 2, 1068;
ir (der geliebten) weiplich scham
die macht mich zam
die gfencknisz hat in zam gemacht
trag. Joh. (1549) M 2;
verstand und witz macht völker zam
Gottsched ged. 303.
mit instrumentalem zusatz: das wären also einige proben, wie man einen gewinnsüchtigen richter mit gelde zahm machen soll Rabener 4, 83; dies verdrosz den guten mann so sehr, dasz er mich mit der ruthe zahm machen wollte Bräker schr. 1, 7. gesteigert: troll immer nur trotzig hin; ich will dich schon zahmer machen Klinger werke 2, 40. — einen zahm kriegen, nd. enen tamm kriegen, bändigen, sei es durch gelinde oder durch scharfe mittel brem. wb. 5, 16: den wollen wir bald zahm kriegen Immermann 2, 128.
γ)
zahm werden, auch von personen: sind sie doch mit der zyt so zahm worden und gewon des evangelischen saltzes Zwingli v. freiheit d. sp. 3 neudr.; (im bilde:) sie müssen auch trübsal haben und quall, das der alte Adam zam werde Luther 10³, 405, 30; mich gewinnen lassen, damit ich zahm werde Stephanie lustsp. 121, 2; nun ist er zahm geworden, wie alle die halbmenschen, wenn sie an die auflösung denken Göthe 21, 318, 3; wollten diese nicht zahm werden, so muszte ihr eignes verhängnisz sie züchtigen Bettina d. buch gehört d. könig 2, 377; als sie die gold'nen füchse sah, da ward sie zahm Bauernfeld 1, 176; he sall woll tamm waren, er soll sich schon zum ziele legen Dähnert 484ᵃ; (im bilde:)
sage mir nun, (stadt) Amsterdam:
wirst du werden jetzo zahm,
da wir Amstelveen genommen,
und dir vor die thore kommen?
Ditfurth 100 volkslieder d. preusz. heeres 62.
gesteigert: je übler man ihnen begegnet, je zahmer werden sie F. L. Schröder dram. w. 4, 42.
δ)
in gegensatz zu wild gestellt: sollen die menschen nicht zahmer als wilde thiere seyn? Lohenstein Arm. 1, 77ᵃ; es müsten ... zweyerley menschen in der welt seyn, so nicht einerley geschlechts von Adam her, sondern wilde und zahme wären Simpl. 42 Kögel; ich habe mädchen mehr vor mir gehabt, die wild gegen mich gethan; aber sie sind bald zahm geworden Gellert 3, 304; Güldenstern: bester herr, bringt einige ordnung in eure reden und springt nicht so wild von meinem auftrage ab. Hamlet: ich bin zahm, herr (I am tame, sir), sprecht Shakespeare Haml. 3, 2; im bilde:
das wildbad ist ein wilder man,
ja freilich wild und selten zam
Murner badenf. 35, XXXII 15.
neben andern gegensätzlichen wörtern: die alte hatte den rohen menschen nach und nach zahm gemacht Göthe 23, 111, 2;
an manchem ort ich gschriben findt,
wie das die heiligen richig (zur rache geneigt) sindt,
das mich des dick ein wunder nam,
das ir sindt jetzundt also zam
Murner narrenbeschw. 118, 8 neudr.
ε)
mit sinnverwandten ausdrücken verbunden: sie gedachte auch durch diese practick Theagenem zam und gehorsam zu machen buch d. liebe 216ᵈ; aus wilden und grausamen leuten zahme und sanftmüthige machen, ex feris et immanibus mites reddere et mansuetos homines Steinbach 2, 1068; aber sie waren zu klug, ... den tyrannen, eh ihn Plato vollkommen zahm und bildsam gemacht haben würde, durch eine unzeitige entdeckung ihrer absichten in seine natürliche wildheit wieder hineinzuschrecken Wieland Agathon 2, 121; er war ganz zahm und heimisch und nach art der Alpenbewohner zutraulich plauderisch geworden Arndt 1, 149; die expedition ... hatte den zweck, die barbarischen stämme botmäszig oder doch zahm zu machen Mommsen röm. gesch.⁴ 3, 38; die buddhistische religion hat die wilden und rohen nomadenhorden zahm und harmlos gemacht, freilich auch an zahl sehr vermindert Döllinger akad. vortr. 1, 8; (herr v. Kriebow:) würdevoller, aber auch abgeschliffener und zahmer, nichts von kecker frische Polenz Grabenhäger 1, 218;
wenn ich dann morndes wider kam,
so was ich demütig und zam
Manuel weinsp. v. 3098 neudr.;
(wir) werden wol zam und demütig,
wenn hand von uns abzeucht der gütig (gott)
H. Sachs 18, 499, 6 Keller-Götze;
als das volck dis an-nam,
wurd es sitsam und zam
22, 211, 13;
der schmerbauch mit der kahlen platte!
das unglück macht ihn zahm und mild
Göthe 14, 102 Weim.;
denn sie (missionare) wollen euch (wilde) bekehren,
zahm, gesittet machen, klug!
Freiligrath 1, 147.
ζ)
näher bestimmt durch so und einen satz mit dasz: da ward nun der sonst trotzige fürst so demütig und zahm, dasz er sich wie ein lamb handeln lies Bucholtz Herkulisk. u. Herkulad. 190; er ist so zam worden, dasz man ihn um einen finger wickeln kann Eiselein 554. vgl.:
also (auf diese weise) macht er die pauren zam,
das (so dasz) sie im waren gehorsam
und hetten in do alle holt.
sie thetten alles, das er wolt
pfarrer v. Kalenberg 95, 1971 neudr.
mit vergleichen, besonders zahm als, wie ein lamm, schaf: wenn er zum hefftigsten zürnet: so mach ich jn so zam, als ein schäflein Boltz Terenz deutsch 97ᵇ; eine neue mode aus Hamburg konnte diese spröde so zahm machen, als ein lamm Rabener 2, 54; eine freundliche miene macht ihn so zahm wie ein lamm Adelung; dieser konnte sie bald zur ruhe bringen, er hiess sie nur Lore, dann hiess sie ihn Faramund und war so zahm, wie ein lämmchen Stilling 1, 149;
ihr fraget dem charakter nach,
den ich am liebsten spiele? ...
ein junges bauernmädchen,
voll unschuld und natürlichkeit,
und wie ein lämmchen zahm
Göthe im Goethe-jahrbuch 26, 11.
anders: nachdem er (ein von einer wölfin gesäugter knabe) nun reden lernen, zahm worden, wie andere kinder Prätorius anthropodem. pluton. 2, 282; sie wurde zahm wie ein täubchen Bräker 1, 76;
ich bin so zahm nicht, als ihr glaubt
Freiligrath 5, 187.
η)
mit dat. der person:
wer sagts, geehrter man, itzt neuer himmelsbürger,
dasz euch sei leid geschehn, indem der wilde würger (der tod),
den (so alle ausgaben, der hrsg. setzt ohne noth dem) euch (dat.) gott zahm hiesz sein, sich auch an euch gemacht
und durch sein scharfes recht, wie alles, umgebracht?
Fleming 1, 50 Lappenberg;
nebenbei ist er auch frech geschwätzig und trotzigen blickes,
wild und der mutter selbst, der geliebten, nicht zahm
Arndt werke 6, 31.
vgl. auch: die grausamen Komücken, das ungemenschte volck, sahn wir vor dir sich bücken, das wilde war dir zahm Treuer deutscher Dädalus 1, 427. mit durch und acc. zur bezeichnung des mittels:
durch seine lehren zahm, begriff der klügre hirt,
wie schön der aufenthalt auf freyen feldern wird
Dusch verm. w. 309.
θ)
natürlich auch, wie schon einige der bisher angeführten belege zeigen, in beziehung auf persönlich gedachtes: wir haben die zeitungspresse ... das ureigenste kind des modernen bürgerthums genannt, aber das bürgerthum ist ein gar zahmes, friedliches und civilisiertes geschöpfchen Kürnberger lit. herzenssachen 10;
weiland muste man um ehre wachen, bluten, schwitzen, schnauffen;
nunmehr ist sie zahmer worden, lesset sich um müntze kauffen
Logau 542, 76.
hierher oder unter a, θ gehört die folgende stelle: lebe nur noch! mein degen ist zahm gegen deines gleichen Klinger theater 3, 252.
c)
vom menschlichen innern, menschlichen eigenschaften und äuszerungen in gleicher art, hier in neuerer zeit besonders mit tadelndem beisinn, mangel an wünschenswerther kraft bezeichnend.
α)
schon mhd. im unmittelbaren anschlusz an a:
sint mir die sinne im herzen zam,
so wil ich dir bescheiden von des sêwes tam
Hagen minnes. 2, 9ᵇ;
geist der gnaden, sey mein trost; ...
die begierden mache zahm,
deinen willen zu erfüllen
Schmolcke 1, 8;
ihre zahmen laster,
beherrscht vom zaume, dienen meinen zwecken
Schiller don Karlos 2817;
o zahme, schimpfliche, verhaszte demuth!
Shakespeare Rom. u. J. 2, 1;
nennt es nicht liebe! denn in eurem alter
ist der tumult im blute zahm; es schleicht
und wartet auf das urtheil
Haml. 3, 4;
mancher sähe ..., dasz er in zahmer unterwürfigkeit allenthalben mitläuft, alles mitglaubt und alles mitmacht Zimmermann über d. einsamkeit 3, 159; Molly hatte zu viel herzhaftigkeit, um eine solche begegnung in zahmer geduld zu ertragen Bode Thom. Jones 2, 82; und das will doch bei der so zahmen, durchsichtigen französischen sprache viel sagen Peucer an Böttiger Göthe-jahrb. 1, 351; es giebt griechische fehler, vor denen die modernen dichter sehr sicher sind. eine zahme kraft durch den gewaltsamsten zwang in guter zucht und ordnung halten, ist eben kein groszes kunststück Fr. Schlegel jugendschr. 1, 155, 20 Minor; das gesetz des ... Scaurus ... war für lange zeit der einzige sehr zahme versuch der ... regierung ihren pöbeltyrannen wieder zu bändigen Mommsen röm. gesch. 2, 199; in allen diesen heimathlosen, in Pufendorf und Thomasius, in Lessing und Fichte, erhebt sich der freie geist, der so lange mit der zahmen sitte seiner umgebung gerungen, zu schroffem stolze Treitschke hist. u. polit. aufs. 1, 121. gesteigert: ist kaum ein politisch zahmeres lustspiel zu denken Mommsen röm. gesch. 1, 873.
β)
in gegensatz gestellt zu wild und ähnlichen wörtern:
dô man den tisch hin dan genam,
dar nâch wart wilder muot vil zam
Wolfram Parz. 170, 8;
den wilden gram macht die gewohnheit zahm
Shakespeare Rich. III 4, 4;
mit gesang machst du die grillen
und die wilden sorgen zahm
o gnade, wie zahm kannst du die trotzigsten seelen machen! Schubart leb. u. gesinnungen 2, 211; bei jedem einzelnen menschen ist eine grundkraft zur thätigkeit, die sich besonders in der jugend wild, unbändig und löwenartig äuszert; nach und nach wird sie milder, zahmer, und fängt nun im jünglingsalter an, nach zwecken zu wirken und nützlich zu werden Stilling 3, 108; bedenkt man, dasz die überschrift: zahme xenien eine contradictio in adjecto im eigentlichen sinne enthält, so läszt es sich vermuthen, dasz hie und da etwas von der alten wilden natur hervorblicken werde Göthe IV 33, 216, 4; vgl. zu dieser stelle:
laszt zahme xenien immer walten,
der dichter nimmer gebückt ist.
ihr lieszt verrückten Werther schalten,
so lernt nun wie das alter verrückt ist
I 3, 286, 810.
auch sonst wohl mit contradictio in adiecto: zahme tollheit dennoch, wie deine Pückler briefw. u. tageb. 1, 110; ich habe vor jahr und tag von dieser selben stelle aus meine überzeugung ausgesprochen, dasz die union an sich nicht lebensfähig sei, dasz sie mir stets erschienen als ein zwitterhaftes product furchtsamer herrschaft und zahmer revolution Bismarck polit. reden 1, 274. vgl. weiter: ich will ebenso leicht mit einer messerspitze voll arsenik den ocean vergiften, als ich mit all' meiner narrheit im stande bin, dem zahmen wesen meiner frau einen beigeschmack von tollheit zu geben Bauernfeld 4, 29.
γ)
mit sinnverwandten ausdrücken verbunden: seine (des Corn. Scipio) reden waren zam, messig und vernünftig, seine wort nit zuͦ rauch oder zuͦ lind Carbach Liv. 151ᵃ; weil das gemütte solcher (ungebildeten) leute ... solche künste hasset, wodurch die sitten zahm und sittsam werden Butschky Pathm. 95; denn ich bin verzweifelt weichherzig und von zahmer, barmherziger natur Bode Montaigne 1, 3; diese schreckliche vermuthung, die ursprünglich ihrem zahmen und frühe durch klosterzucht geregelten gemüthe ferne lag C. F. Meyer Jenatsch 183;
ach, liebender glauben ist willig und zahm!
Bürger 2, 31.
d)
allgemeiner von menschlichen verhältnissen und zuständen: sie gaben die wilde und unsichere freiheit auf, damit sie die zahme und sichre freiheit besitzen könnten Arndt schr. f. u. an s. l. Deutschen 2, 124; inhalt und zuschnitt des gedichtes muszten den zahmen bedürfnissen jener zeitschrift entsprechen Heine 2, 351; darum zogen viele von ihnen der zahmen dienstbarkeit ein wildes räuberleben in den wagrischen wäldern vor Dahlmann dän. gesch. 1, 445; in schon sehr zahmer zeit lebte Mirabeau' s groszvater gesch. d. franz. revol. 169;
in dieser zahmen zeit, von pflichten und von rechten
umzäunt, wo überall für dich gesetze fechten,
entbehrst du manch' gefühl, um das du einen wilden
im urwald neiden magst und wilder thiere gilden
Rückert 2, 58.
gesteigert: dasz die deutsche renaissance zwar etwas zahmer werden sollte Justi Winckelm. 1, 163.
e)
von pflanzen, die gebaut werden Adelung, die durch anbau veredelt sind Campe, culturpflanzen: haut (hat) aber einer ein zamen oder heimschen poum, da soll im niemants darunder goun (gehn), als es von im selbs pillich ist weisth. 5, 232 (gegend v. Pforzheim, 1485); dweil die zwo letsten nepten den müntzen sich vast vergleichen, wöllen wir nun die selbigen auch ordentlich unterscheyden, und sagen, also das der müntzen seindt drei zamer geschlecht Bock kräuterb. (1556) 7ᵇ; der grosze zahme olivenbaum Neumark neuspr. t. palmb. 270; fruchtbarer, zahmer, gezweigter baum, albero fruttifero, franco, domestico Kramer teutsch-ital. dict. 1 (1700), 64ᶜ; er (der nuszbaum) gehörete unter die zahmen bäume in den gärten Döbel jäger-pract. 4, 32; zahme hölzer Adelung; zahme bäume, 'die naturalisiert sind, aber doch noch aus dem samen gezogen werden müssen' Jacobsson 8, 234ᵇ; um sieben uhr sind schon viele garderobejungfern im schlosse und der zahme salat in meinem botanischen garten wach J. Paul 11/14, 330 Hempel;
bald auch die zahm und fruchtbar bäum
sich freudig werden zieren
mit weichem obs, mit kinderträum,
nüsz, oepfel, kirsch und bieren
Spee trutzn. 89, 141 Balke.
zahme pflanzen wilden gegenüber gestellt: die wisszen bören, die do wachszen an den byerböumen mystelen, sye (die birnbäume) seyent wild oder zam Gersdorff wundarzn. L 1ᵃ; sie schreiben aber, es (die myrte) sei nicht ein wilder, sondern ein zamer bawm, wie byrn und epfel bewme Luther 23, 510, 9 Weim.; zam und wilder maieron seind warmer und druckener art. dienen innerlich und eusserlich allen menschen Bock kräuterb. (1556) 13ᵇ; der schönen lieblichen rosen werden vielerley geschlecht erfunden, welche doch in zwey geschlecht können abgetheilet werden, also dasz etliche zahm seyn, etliche wild Tabernaemont. (1625) 3, 167 H; zahme (erbsen), die man säen musz, und wilde, die von sich selbst wachsen Hohberg georg. cur. aucta 3, 136ᵃ; es sind aber dererselben (bäume) zweyerley gattungen, nemlich zahme und wilde Fleming t. jäger 25; einer (der beiden olivenbäume) war wild, der andere zahm Breitinger crit. dichtk. 1, 461; die haberwurzeln (tragopogon) ... 1) die wilde (t. pratensis) ... 2) die zahme (t. porrifolius) ... bey uns in gärten als zierpflanze, 2—3' hoch; Oken 3, 720;
ihr sträuch' und püsche grosz und klein
kommt stimmet alle mit mir ein:
ihr bäume beyde wild und zahm,
kommt lobet meinen bräutigam
A. Silesius hl. seelenl. 214 neudr.
ebenso von pflanzentheilen, auch früchten: surculus, ein zamer zwige Dief. 568ᶜ; darzu pfleget man auch ... wilde oder zame oelbawmpletter ... zuthun Sebiz 33; sie (die bären) seind auch liebhaber von zahmen und wilden obst Täntzer Dianen hoh. u. nied. jagtgeh. 1, 67;
(Habitis) lehrt auch das grob volck die viehzucht,
ackern und seen zame frücht
H. Sachs 8, 459, 38 Keller.
vom wein: denn Christus hat nit wöllen wilden wein zu trincken geben, sondern zamen wein Paracelsus opera 2, 413;
des Bacchus süsser saft, darauff poeten pochen,
musz werden zam durch sonn und zeit
Logau 162, 12.
anlehnung an die beziehung des wortes auf personen (s. oben b) zeigt die folgende stelle:
wann ich dich (ein stück holz) mit eim runden bauch
formier und mit eim kragen auch,
und auff dem tach bezieh mit seyten,
und last dich meine finger leyten,
so würst du zam, lieb, mild und zart
und verlierst deine wilde art
Fischart lob d. lauten 373, 641 Hauffen.
heute ist dieser ganze gebrauch zurückgetreten, während wild die entsprechende anwendung durchaus gewahrt hat. mundartlich ist er aber noch völlig lebendig, so im Elsasz: zahmi kirschen, winden, zahm obs u. dgl. Martin-Lienhart 2, 903ᵇ.
f)
als oberdeutsch verzeichnet Adelung einen gebrauch im sinne von 'bewohnt': ein zahmes land, ein bewohntes. schweizerisch ist es nach Stalder 2, 462 in beziehung auf eine gegend das gegentheil von wild, das er in solcher anwendung mit der bedeutung 'unbebaut oder gar für jede vegetation untauglich' anführt 451: wie wol etlich die Reüsz nit für ein undermarck wöllen haben zwüschen Zürychgow und Aergow, sonder geben das zam gebirg ob der statt Baden, genennt Baregk und Heytersperg für ein schidmaur Stumpf 346ᵃ; zuo end desz Turtals, als sich das zame fruchtbare Turgow erhebt, volgen die stett Wyl und Schwartzenbach 422ᵃ; schweizerisch auch zahme alp, geschützte, milde, gegensätzlich zu rauher alp Martiny wb. d. milchwirtschaft 140. gesteigert: gleych under disem schlossz am wasser hat sich erhebt die statt Neüwen-Winterthur in der ebne, als auf dem zämeren und gelegneren platz Stumpf 447ᵃ. alemannisch ebenso vom erdboden selbst, bebauungsfähig: machte das erdreich zahm für den garten- und feldbau Hebel (1853) 3, 114. von der art einer gegend hinsichtlich ihrer wirkung auf menschen gelegentlich auch in der neueren schriftsprache als gegensatz zu wild, mit deutlicher anlehnung an den gebrauch von thieren: ich begreife, dasz die zahme hausthierartige natur um die stadt dir nicht wohl thut Görres ges. br. 1, 65; mit contradictio in adiecto: so wanderte ich in ... den thiergarten ... in seine zahme wildnisz Ebner-Eschenbach 4, 417.
g)
auch von bestimmten einzelnen theilen oder äuszerungen der unbelebten natur als gegensatz zu wild.
α)
in bezug auf bewegung, geräusch, wirkung; mäszig: zamer flussz, der zam, lyns, oder sanfft dahär laufft, wie die Glatt ausz dem Gryffensee, delicatissimus amnis Maaler 512ᵃ: die Pernitz läufft unten voll lärmen und gepränge durch, bis sie drauszen ein zahmer flusz wird Stifter 2, 8. ähnlich: sanffter und zamer runsz, alveus fluminis clementior Maaler 512ᵃ. vom meere: Spreng Aeneis 6ᵃ (die stelle s. oben unter I). negierend: seit dieser zeit ist zwar das meer nicht zahmer, wohl aber die bevölkerung vorsichtiger geworden Wimmer gesch. d. deutschen bodens 150. von meteorologischen erscheinungen, mit anlehnung an den gebrauch von thieren oder menschen: die winde selbst waren etliche tage lang so zahm, als ob sie es mit einander abgeredet hätten, uns keine gelegenheit zu irgend einer schönen beschreibung eines sturms oder eines schifbruchs zu geben Wieland Agath. 1, 35;
zahme donner untern füssen,
schläft, gewiegt von Ledas küssen,
schläft der riesentöder ein
Schiller 1, 239.
auch in der heutigen umgangssprache kann man sagen: das gewitter war ziemlich zahm, was unmittelbar als bildlich im sinne des gebrauchs von belebtem empfunden wird. in einem feuerbuche von 1591 wird das lustfeuerwerk als zames dem kriegs- oder ernstfeuerwerk als wildem entgegengesetzt Schmeller² 2, 1120.
β)
in bezug auf leichtigkeit der behandlung. so bezeichnet man im Elsasz sandstein als tsameni stein, granit als weili (wilde) stein Martin-Lienhart 2, 903ᵇ. im hüttenbau sind zahme erze solche metallischen erze, die sich auf die bekannte art schmelzen lassen, im gegensatze zu den wilden Jacobsson 4, 678ᵃ, Adelung.
h)
adverbial.
α)
im sinne von a: die wilden tiere ... sich mer heymlichen oder zame dann wilde peweysten Arigo decamerone 543; den (wolf hat) er unter schaafen zahm und ohne beschädigung sehen herumb lauffen Dannhawer catechismus milch 1, 18; der in Griechenland zahm-umbirrende bär hätte nie keinen menschen zerrissen Lohenstein Armin. 1, 301ᵃ; wo eine menge amseln, nachtigallen und andre vögel fast ganz zahm herumhüpften und sangen Miller Siegw. 1, 40;
da kam ein bär, ein wolf, ein wildes schwein:
die folgten zahm und willig ihr zum stall
Herder 25, 340;
und als ich in das städtlein kam,
er sasz auf meiner achsel zahm
Mörike 1, 42.
β)
nach c: nachdeme Joannes der täufer ... in der wildnus zahm gelebt an den sitten Abr. a S. Clara mercks Wien 122; vor seinen eltern ... gab sich der junge mann ... sehr zahm und unschuldig Holtei erz. schr. 21, 104; schwatzt mir nicht so zahm Ludwig 3, 168; so sind sie wo möglich noch zahmer gehalten als die schriften Philons Mommsen röm. gesch. 5, 520;
dar hinder (hinter den ofen) schwung sich der schneider zam
H. Sachs 21, 183, 15 Keller-Götze;
schon lernt Iberiens heldenmuth
sich zahm an euer joch gewöhnen
Kretschmann 1, 114;
ähnlich:
und derbe knochen, die sich tödtlich schlugen,
sie liegen kreuzweis zahm allhier zu rasten
Göthe 3, 93 Weim.;
und eingedenk, wie zahm und brav
die künste gehn nach brot
Fulda neue ged. 217.
gesteigert: dazuͦmal war ein solcher frid inn Germania, das disz wild volck etwas zamer der Römer sitten annamen Franck chron. Germ. 11.
γ)
im sinne von g, α: zamer flusz, der zam ... dahär laufft Maaler 512ᵃ (s. oben g, α); der (ein bach) oft von hohen wänden eingeengt in tosenden fällen niederstürzt, oft wieder, wenn die landschaft breiter wird, sanft und zahm durch die wiesen läuft Steub drei sommer 1, 279.
i)
substantivisch.
α)
als m., nach b: wie nun die zierkunst (das tättowieren) der roheit bei wilden und zahmen nennen? Jahn 2, 612. im comparativ: auch ein zahmerer als Hamlet würde durch solche beleidigung zur rache getrieben werden Ludwig 5, 178.
β)
als n.
αα)
nach a: zahme thiere oder fleisch zahmer thiere:
dich (Maria) êren minne machen kan
an zamen und an wilde
Lobgesang 34, 10;
wild unbenanten geschlechtes das wild ... ist das wiedrige des zahmens Gueintz rechtschreibg. 162; wo ihr alter sasze, den kopff mit einer hand auf den elenbogen untersteuerte und mit der andern die zähne sticherte, gleichsam als wann er denselben abend viel zahmes und wildes darmit zermahlen müssen Simpl. 2, 363, 11 Keller; es wär' ihr zu verächtlich und hofwidrig gewesen, andere tauben und schweine auf ihr tischtuch zu lassen als wilde; denn sie wuszte, dasz man herrentafeln nicht gern mit etwas zahmen (die gäste ausgenommen) besetzt J. Paul 6, 18. unflectiert:
wilt und zam daʒ vröut sich sêre
gegen des wunneclîchen meien zît
Hagen minnes. 1, 73ᵃ;
swaʒ man truoc od tragen solde
für in, daʒ wilde und daʒ zam
Wolfram Willeh. 177, 3;
im älteren nhd. zeigen sich deutlichere spuren eines selbständigen subst. mit dieser bedeutung nach analogie von wild, n.: massen ich weder an wild noch zahm keinen mangel bey ihnen verspüren konnte Simpl. 2, 42, 22 Keller;
der wilden hölen zucht, der strengen löwen art,
und was die wüste klipp in ihrem schosz verwahrt,
legt, wenn der linde mensch es nicht zu rauhe handelt,
die grimmig unarth ab und wird in zahm verwandelt
A. Gryphius trauersp. 65, (Leo Arm.) 496 Palm.;
auch später noch erscheint wild und zahm gelegentlich so:
ich esse suppe gern von manchem fleisch,
von kalb und ochsen, hammel, hahn und huhn,
und braten aller art von wild und zahm
in den oben angeführten mhd. stellen schimmert die möglichkeit einer ausdehnung auf pflanzen durch (vgl. oben e), welche beziehung deutlich mit eingeschlossen ist in der folgenden stelle:
got hât Adâme und Êven geben in paradîse wunne vil:
Adâme tet er undertân gar wild und zam, biʒ ûf ein zil,
ein obeʒ daʒ du soldest mîden durch solch ungemach
Hagen minnes. 2, 227ᵃ.
ββ)
nach d: aber das genrehafte, zahme und rücksichtsvolle, welches dieser gattung von (poetischen) stoffen in der regel anhängt, gibt auch der künstlerischen auffassung völlige berechtigung, welche gerade hier gern solche kämpfe vorführt, denen wir im wirklichen leben eine milde ausgleichung zutrauen und wünschen Freytag 14, 100.
2)
wohl bekannt, vertraut, zugethan, vertraulich, mhd. und vereinzelt noch frühnhd.:
er (Hagen) wart sô baldes herzen,   sô frevele und sô zam (mit thieren)
Kudrun 98, 1;
ich bin dem neider ymmer gramm
und wunsch im alles hertzen laid.
ich wolt, er wär auch nit als zamm
und hett auch all unsälikeit
(der böse ruf) ist erstlich klain aus schew und scham,
bald würt es unverschamt und zam
Fischart 3, 68, 17 Hauffen.
mit dat. der person:
einer frowen was ich zam,
diu âne lôn mîn dienest nam
minnes. fr. 46, 29;
die mir ie wâren gram:   den bin ich allen worden zam
klage 1037;
auch bei unpersönlichem subject:
dâ wart mir senlîch trûren zam
neben gen. der sache:
dô die boten kômen   und daʒ er die vernam,
getriuwelîcher dienste   was er im so zam,
daʒ er leiste gerne   swaʒ er im gebot
Kudrun 217, 2.
wortspielend mit der gewöhnlichen bedeutung:
zam und wilde beide
was disiu trahte, sam mir got!
den fröiden wilde ân allen spot,
den sorgen zam ân unterlâʒ.
du hâst des ritters herze gâʒ,
daʒ er in sîme lîbe truoc
3)
angemessen, schicklich, mhd., wie sonst zæme (vgl. oben das formale), mit dat. der person:
ir kleinôt er in alleʒ nam.
daʒ was iedoch niht ritter zam
4)
im Berner oberlande bedeutet zahm nach Stalder 2, 462 auch langsam. bair.-östr. ist zamet zahm, blöde, langsam, träge Schmeller² 2, 1120. dort wird zusammenhang mit säumen vermuthet. vgl. dazu semmeln, zemmeln oben theil 10, 1, 565. aber es kann eine weiterbildung zu zahm sein (zamicht, vgl. zämig unten). die bedeutung langsam ist auch wohl mit der gewöhnlichen von zahm zu vereinigen. vgl. 1, g, α.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 93, Z. 70.

zahm, n.

zahm, n.,
s. zahm, adj. II 1, i, β, αα.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 107, Z. 38.

zähm, adj.

zähm, adj.,
s. zahm, adj. I.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1913), Bd. XV (1956), Sp. 107, Z. 39.

zammen, adv.

zammen, adv.,
für zusammen, sieh dies unten.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1925), Bd. XV (1956), Sp. 215, Z. 15.

zampen, verb.

zampen, verb.,
hess.-nass. zucken, zappeln, ausschlagen (vom vieh) Crecelius 2, 930, Pfister 2. ergh. 45, so schon bei dem Hessen Nigrinus:
wenn Noah prediget gotts wort,
war jeders thier stil an seim ort,
mercket mit vleis auff sein befehl,
on der unruige esel.
der zampt und stampte immerdar
Nasen esel (1570) A 4ᵇ,
auch: mit einzelnen schlägen läuten, mit der glocke sturmzeichen geben Vilmar 465. es ist mit zappeln etymologisch verwandt, zu dem es sich verhält wie trampen zu trappeln (nasalierung des stammes) Crecelius 2, 930. auch mit angleichung des p an das vorhergehende m zammen, zucken Vilmar 464, Crecelius 2, 930. weiterbildungen zampchen, verb. Pfister 2. ergh. 45, Crecelius 2, 930, zampeln Kehrein volksspr. in Nassau 1, 451, sich zögernd herumtreiben Pfister 341, zammeln Kehrein 1, 451. dazu zampelig, zammelig ebenda. hierher gehört auch zampel, zammel, f. 1) lappen, 2) unordentliches weib ebenda. zu vergleichen ist weiter das bei Lexer 3, 1026 als schelte bezeugte zampeldierne, das vorige und das folgende.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 2 (1925), Bd. XV (1956), Sp. 215, Z. 41.

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Zitationshilfe
„zahm“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/zahm>.

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